Schwemmholz
nächsten Tage begleiten, und damit niemand dumme Fragen stellte, würde die Beamtin sich als Veras Reutlinger Cousine ausgeben.
Ihr Mann und vor allem ihr Schwiegervater würden ihr das mit der Cousine nicht abnehmen, hatte Vera eingewandt. Tamar hatte das nicht gelten lassen. »Es ist besser, wenn Sie reinen Tisch machen und Ihrem Mann alles erzählen. Wenn Ihre Beziehung das nicht aushält, ist es ohnehin höchste Zeit für Sie, sich zu trennen.«
Vera hatte sie groß angesehen. Seither rumorte in Tamars Hinterkopf die Frage, ob sie da nicht den Mund zu voll genommen hatte. Inzwischen befand sich Vera bereits auf dem Weg nach Hause, begleitet von einem Zivilwagen der Ulmer Polizei, bis in Laupheim die neu entdeckte Cousine zu ihr in den Wagen steigen würde.
Berndorfs Anwesenheit wäre jetzt nicht mehr erforderlich gewesen, aber Desarts wollte ihn bei dem Gespräch dabeihaben. »Eine delikate Geschichte«, sagte er. »Äußerst delikat.«
»Das sehe ich anders«, antwortete Tamar. »Nichts daran ist delikat. Zwei Männer vergewaltigen bestialisch eine junge Frau, nur, weil sie dem einen eine Abfuhr gegeben hat. Sadismus und Niedertracht sind nicht delikat.«
Desarts sah sie erschrocken an. »Ich verstehe Ihre Reaktion. Aber sie ist emotional. Sehen Sie, diese Vergewaltigung
ist verjährt. Wir haben keine Handhabe. Und der Versuch, daraus eine Verbindung zwischen Herrn Welf und diesem Rodek zu konstruieren, steht auf sehr schwankendem Boden.«
»Das ist mir nun aber völlig unverständlich«, wandte Tamar ein. »Aus Veras Aussage geht klipp und klar hervor, dass diese beiden Männer bereits damals zusammen waren und bereits damals eine ungehemmte kriminelle Energie an den Tag gelegt haben. Vor allem haben wir endlich die Verbindung, die den Hintergrund für den Brandanschlag in Wiesbrunn offen legt.« Tamar beugte sich vor und versuchte, Desarts Blick festzuhalten. »Rodek wollte es so aussehen lassen, als ob Gföllner der Auftraggeber sei. Er wollte ihm die Mafia auf den Hals hetzen, um ihn als Mitbewerber für Welf auszuschalten.«
»Sachte!« Desarts hob beschwichtigend beide Hände. »Wollen Sie nicht vielleicht ein Bonbon?« Tamar schüttelte empört den Kopf. »Na gut. Aber warum kommt diese Frau erst jetzt mit ihrer Aussage? Es ist doch nicht wahr, dass Vergewaltigungsopfer vor Gericht nicht geschützt würden.«
In welcher Welt lebt dieser Mann, dachte Tamar. Sie warf einen Hilfe suchenden Blick zu Berndorf. Der hatte den Stuhl zurückgeschoben und saß vornübergebeugt. Langsam hob er den Blick. »Im Verfahren gegen Rodek und Veihle hatten Sie die Anweisung, die Angeklagten rasch vor Gericht zu bringen«, sagte er bedächtig. »Bevor wir überhaupt weiterreden, möchte ich wissen, ob es noch weitere Anweisungen aus Stuttgart gegeben hat. Zum Beispiel, wie diese verschiedenen Ulmer Vorkommnisse zu behandeln seien?«
Desarts scharf gekerbte Gesichtszüge schienen für einen Augenblick zu entgleisen. Dann fing er sich wieder. »Falls Sie es vergessen haben, Berndorf, ich bin Erster Staatsanwalt. Ich nehme keine Anweisungen entgegen.« Berndorf sah ihm ausdruckslos in die Augen. Desarts erwiderte den Blick, dann drehte er den Kopf weg.
»Nein, wir haben keine Anweisung«, sagte er schließlich. »Aber Sie müssen mich auch verstehen. Der Herr Welf ist ein aufstrebender Ulmer Architekt und Unternehmer. Er kommt
aus einer angesehenen Familie. Sein verstorbener Vater war Gymnasialdirektor und in der Stadt so etwas wie eine Institution. Seine Mutter ist heute noch eine Persönlichkeit des gesellschaftlichen Lebens.« Es klang müde und resigniert. »Ich kann nicht einfach zu Herrn Welf gehen und sagen, Sie haben da vor zwölf Jahren ein Mädchen vergewaltigt, und deswegen können wir Ihnen nachweisen, dass Sie den Brandanschlag in Wiesbrunn in Auftrag gegeben haben. Und den Protokollführer Sander haben Sie auch verschwinden lassen. Lächerlich ist das doch. Welf wird uns erklären, dass er diese Zeugin Vochezer nicht kennt und nie gesehen hat, auch nicht diesen Stefan Rodek und dass nichts an dieser Geschichte wahr sei. Und dann können wir nur mit der Schulter zucken und sagen, wenn das so ist, dann entschuldigen Sie bitte, und nichts für ungut!« Berndorf schüttelte den Kopf. »Kein Richter wischt heute noch die glaubhafte Aussage einer Frau so einfach vom Tisch. Welf kann nicht mehr abstreiten, dass er Rodek kennt.«
»Und was ist damit gewonnen?«, wollte Desarts wissen. »Rodek ist
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