Schwemmholz
nickte dem Fotografen zu.
Die Maschine flog über einen bewaldeten Hügelkamm. Ein
zweiter Fluss kam in Sicht, die Iller, nicht graubraun und behäbig, sondern gelb vom losgespülten Löss. Tief unten sah Berndorf das schmale Band einer Brücke, die einem wirr aufgetürmten Floß aus herandrängenden Baumstämmen standhalten musste. Auwiesen und Waldstreifen entlang der Dämme waren bereits überflutet.
Der Pilot drehte sich zu ihnen um und zog die Mundwinkel nach unten. Es brauchte nichts gesagt zu werden. In Ulm und vor allem im niedriger gelegenen Neu-Ulm standen den Leuten feuchte Tage ins Haus. Und nasse Keller.
Claudia Lehmann stand vor der Arbeitsplatte in Krausers Küche und betrachtete die Wachteln, die sie ausgenommen und für den Backofen vorbereitet hatte. Der Anblick deprimierte sie. Wie schnell es doch ging, und es wurde einem der Hals lang gezogen und das schöne Gefieder gerupft. Krauser stand in der Tür, er hatte seinen Trenchcoat an und den Hut in die Stirn gezogen.
»Ich fahr nur mal kurz in die Stadt«, sagte er. »Nur mal kurz jemanden anrufen.«
»Warum kannst du das nicht von hier aus tun?«, fragte Claudia. »Ich versteh nicht, was mit dir ist. Was für Geheimnisse du hast. Warum du dauernd abends in der Stadt telefonieren musst. Und dann auch noch bei diesem Wetter.«
»Das kannst du auch nicht verstehen«, antwortete Krauser nachsichtig. »Das ist geheime Polizeiarbeit.« Er nahm den Hut ab und küsste sie auf die Wange. »Wir werden bestimmten Leuten eine Falle stellen. Und wenn diese Leute dann mit dem Geld rüberkommen, dann schnappen wir sie.«
Und Krauser wandte sich um und ging.
Der Streifenwagen bog auf den Hof des Anwesens ein und hielt. Polizeihauptmeister Leissle stieg aus, öffnete erst einen Schirm und dann die Tür zum Rücksitz, um einem in eine Decke gehüllten Bündel aus dem Wagen zu helfen. Dann ging er zur Tür und klingelte.
Es dauerte etwas, dann öffnete sich die Tür, und Orrie sah sich zu seiner Überraschung Tamar Wegenast gegenüber, die in einem weiten und etwas angeschmuddelten Sportanzug steckte. »Tag Kollegin«, sagte er gewandt und tippte an die Uniformmütze. »Wir sollten Ihnen das da bringen. Er sagt, er wohnt hier.« Tamar nahm das Bündel in Augenschein. Aus einem staubgrauen Gesicht, in das der Regen einzelne Schmutzbäche gewaschen hatte, sahen ihr die wässerigen Augen Erwin Skrowoneks entgegen.
Eine Frau mit grauen Korkenzieherlocken drängte sich durch die Tür und baute sich vor dem Bündel auf. »Mein Gott«, sagte sie und hob die gefalteten Hände zu den Regenwolken, »sind wir nicht schon geschlagen genug? Musst du alter Döskopp dich nun schon von der Polizei nach Hause bringen lassen? Hast du eine Ahnung, wie du ausschaust? Als ob du in die Müllkippe gefallen wärst.«
In das Bündel kam Bewegung. Unter der Decke kam eine magere Hand zum Vorschein, die Marie Skrowonek ein eingedrücktes Etwas aus Zinn oder Silberblech entgegenhielt. »Da«, sagte Erwin Skrowonek, »unsere Teekanne. Meine Mutter hat sie uns zur Hochzeit geschenkt. Ich hab sie ausgegraben. Jetzt werd ich sie ausbeulen. Dann ist sie so gut wie neu.«
Seine Frau beugte sich vor und starrte ihn an. »Du hast diese Teekanne da ausgegraben, wahrhaftig diese Teekanne?« Dann drehte sie sich um und ging zur Haustür zurück.
Orrie blickte von Skrowonek zu Tamar und schniefte gerührt. »Anwohner hatten uns angerufen, dass der alte Mann in den Trümmern herumgräbt. Und weil das alles einsturzgefährdet ist, haben Heilbronner und ich ihn herausgeholt und ihn in diese Decke gepackt. Er war von unten bis oben voll Dreck und Staub. Aber er bestand darauf, dieses Ding da mitzunehmen.«
»Mein ganzes Leben hat mich seine Mutter kujoniert«, schluchzte Marie Skrowonek und hielt sich am Türpfosten fest. »Vom ersten Tag an, nachdem wir uns verlobt hatten.
Und wenn sie nichts, gar nichts gefunden hatte, worüber sie quengeln konnte, dann war ihr die Teekanne nicht poliert genug.« Sie hielt sich die Hand vors Gesicht. »Es gibt nichts, was ich so gehasst habe wie diese Teekanne. Und jetzt, wo wir alles verloren haben, muss dieser Depp hingehen und mir diese Kanne ausgraben. Ausgerechnet dieses Ding.«
Erwin Skrowonek verharrte ratlos vor der Tür, das zerdrückte Etwas noch immer in der Hand. Am Ärmel seiner Strickjacke hatte sich ein Stück Draht verfangen, Tamar zupfte es vorsichtig heraus. Dann sah sie, dass es kein Draht war, sondern ein abgerissenes
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