Schwemmholz
Kabel.
»Manchmal haben wir schon einen komischen Beruf«, sagte Orrie, der neben ihr stand. »Erst gestern Nacht zum Beispiel haben wir eine junge Frau angehalten, weil ihr Alfa Spider nur noch auf drei Töpfen lief, und ich hab ihr den Zündverteiler provisorisch hergerichtet.« Er wartete auf Beifall, aber Tamar sah ihn nur ungehalten an. »Und wissen Sie, was die mitten in der Nacht bei sich gehabt hat, auf dem Beifahrersitz von ihrem Alfa?«, fuhr er fort. »Eine Plastikwanne voll Maurerwerkzeug.« Tamar wandte sich zu Marie Skrowonek um und legte ihr tröstend eine Hand auf die magere Schulter. Die alte Frau schniefte. Es klang, als müsse sich der ganze Kummer eines geplagten Lebens Luft verschaffen.
»Was die Leute so alles treiben«, meinte Orrie und ging zum Streifenwagen zurück.
Krauser stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz vor dem Hauptbahnhof ab und ging hinüber zu den Telefonzellen im Postamt. Es war Samstagabend, nur noch wenige Passanten strebten zum Bahnhof oder kamen von dort. In einer der Telefonzellen kicherten zwei Mädchen. In einer anderen stand ein untersetzter Mann mit einem breitkrempigen Hut, den er in den Nacken geschoben hatte. Außerdem rauchte er eine dünne Brasil-Zigarre. Krauser richtete sich auf ein längeres Warten ein.
Scheppernd fuhr eine Straßenbahn aus der Haltestelle heraus.
Vom Hauptbahnhof plärrten Lautsprecher die neuesten Verspätungen durch die regennasse Nacht. Der Mann mit der Zigarre hängte ein und verließ die Zelle. Für einen kurzen Moment begegneten sich ihre Blicke.
Krauser betrat die Zelle. Wie eine Säule stand in ihr der warme Geruch nach nassen Kleidern, beißendem Tabakrauch und Körperschweiß. Krauser steckte die Telefonkarte in den Apparat und wählte.
Fast sofort meldete sich die Stimme, die er schon kannte. »Pronto?«
Krauser atmete durch. »Sie wissen schon, wer spricht.« Er bemühte sich, seiner Stimme den Klang professioneller Gelassenheit zu geben. »Wir wollten uns heute darüber einigen, wie wir unsere Zusammenarbeit gestalten.«
»Wir akzeptieren«, sagte die Stimme nach einer kurzen Pause. »Sagen Sie Konditionen.«
Krauser musste lächeln. Na also. »50 000 in gebrauchten Scheinen, keine Tausender, keine Fünfhunderter. Übergabe am Montag, 17.30 Uhr, auf dem Ulmer Hauptbahnhof. Ihr Kurier trägt einen gelben Plastikmantel und wartet unten im Durchgang zwischen erstem und zweitem Bahngleis. Er folgt den Anweisungen, die er dann erhält.« Krauser machte eine Pause. Durch das Fenster der Zelle sah er einen Mann, der unter dem Eingangsdach des Postamts Zuflucht vor dem Regen gesucht hatte und jetzt mithilfe eines Handys telefonierte.
»Haben Sie alles verstanden?«, fragte Krauser.
»Jawohl«, sagte die Stimme. »Alles verstanden. Montag, 17.30 Uhr, Durchgang zwischen Bahnsteig eins und zwei.«
Krauser legte auf und rückte seinen Hut in die Stirn. Dann stieß er die Tür der Zelle auf und ging hinüber zu seinem Wagen. Er freute sich auf die Wachteln in Minzsauce und auf einen kühlen Frascati. Morgen würde er Polizeirat Englin verständigen, auch wenn es Sonntag war, und am Montag würde ein Mafia-Kurier mit einem Koffer Geld im Netz zappeln.
Der Mann, der gerade mit dem Handy telefoniert hatte, überquerte vor ihm die Straße. Krauser war an seinem Wagen
angelangt und schloss ihn auf. Als er den Schlüssel wieder abzog, spürte er hinter sich eine Bewegung. Er wollte sich umdrehen, aber irgendjemand drückte ihm einen runden Gegenstand hart gegen den Rücken, kurz oberhalb der Hüfte. »Du cool bleibe«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Ganz cool. Nix schreie.« Es war eine Männerstimme. Mit ihr schlug Tabakdunst durch den Regen. Ein zweiter Mann drückte sich an der Kühlerhaube von Krausers Wagen vorbei und kam auf ihn zu. Er hielt ihm eine geöffnete Hand hin.
Krauser verstand nicht. Das runde Ding in seinem Rücken stieß schmerzhaft gegen seine Nieren. Schließlich begriff er. Er legte den Autoschlüssel in die offene Hand. Blechern drang vom Hauptbahnhof eine Durchsage zu ihm her.
Plötzlich wusste er, warum sie ihn gefunden hatten.
Das gelbe Wasser strömte talwärts, in rascher zielstrebiger Fahrt, die sich keine Zeit mehr nahm für kleine tückische Strudel oder nicklige Wellenkämme. Was im Wege war, wurde weggespült, mitgerissen, untergraben, kein Aufenthalt, keine Umstände sollte es geben bei der rasenden Schussfahrt von den Bergen und Hügelkämmen des Allgäu zu den fernen Gestaden des Schwarzen
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