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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Meeres, aber dann gab es ihn doch, diesen Aufenthalt, die gelben Wassermassen der Iller stießen auf den bräunlichen Strom der Donau, die beiden Flüsse vermengten sich, machten sich rauschend und gurgelnd den Platz im gemeinsamen Flußbett streitig, stauten sich zurück, suchten einen Ausweg, strömten in kleine Bäche und kehrten deren Lauf um, oberhalb von Neu-Ulm wurden die Dämme überspült, fast unhörbar bahnten sich erste Rinnsale den Weg in die Gärten des Wohngebiets am linken Donauufer, drangen auf die Gehwege und auf die Straßen vor und vereinigten sich zu Wasserlachen, die sich stetig ausbreiteten.
     
    Judith träumte. Sie war in der grauen Stadt und ging eine endlose Straße entlang, irgendwann würde sie in eines der Häuser eintreten und die Treppen hinaufsteigen, bis zu der Tür, die sie
aufschließen musste, obwohl sie wusste, dass die Wohnung dahinter leer war, leer bis auf das Blut, das von der Decke tropfte.
    Wie immer wachte sie auf, bevor sie den Schlüssel herumdrehen konnte. Sie starrte in die Dunkelheit. Was für eine dumme Geschichte! Sie musste aufs Klo, deswegen hatte sie vom Regen geträumt. Dann fiel ihr ein, dass der Regen Wirklichkeit war und draußen auf die Terrasse tropfte und dass sie nur wieder einmal ihren Kinderalptraum gehabt hatte.
    Trotzdem musste sie auf die Toilette. Mühsam stand sie auf. Erst jetzt merkte sie, dass sich ihr ganzer Körper wie zerschlagen anfühlte. Und dass sie gar nicht in ihrer Wohnung war. Sie war in der Villa am Donauufer, in dem Vorzeige-Appartement, weil sie zu müde gewesen war, heimzufahren.
     
    Die Wischerblätter hatten Mühe, die Wassermassen von der Frontscheibe zu schaffen. Der Mann, der Krauser den Autoschlüssel abgenommen hatte, war über die Adenauerbrücke gefahren und hatte die Abfahrt nach Neu-Ulm genommen. Auf den Straßen waren kaum Autos unterwegs, aber überall hörte man die Sirenen der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks. Obwohl sie langsam fuhren, platschte das von den Reifen aufgewirbelte Wasser gegen den Karrosserieboden.
    Krauser saß auf dem Rücksitz, neben ihm der Mann mit der Brasil-Zigarre. Krauser hatte ihm eigentlich sagen wollen, dass in seinem Wagen nicht geraucht werde. Aber dann war ihm eingefallen, dass das komisch geklungen hätte. Und erst da wurde ihm klar, in welcher Situation er sich befand.
    »Ich bin Polizeibeamter«, hatte er noch gesagt, als sie ihn gezwungen hatten, in seinen Wagen einzusteigen.
    »Du Schnauz halte«, war die einzige Antwort gewesen. Sie war von dem Mann mit der Zigarre gekommen. Eindeutig war er der Kapo. Und er hatte ihm noch einmal den Revolver in den Rücken gestoßen. Oder war es eine Lupara? Nein, der Schaft müsste dann so lang sein, dass er ihn gesehen hätte.

    Krauser machte sich keine Illusionen. Es war die Mafia, die ihn geschnappt hatte. Vermutlich war er schon so gut wie tot. In einem Roman hatte er gelesen, dass die Mafia ihre Opfer in einen Kübel mit Zement stellt und so lange dort stehen lässt, bis der Zement fest wird. Und dass sie dann den Kübel mit dem Menschen darin ins Meer wirft. Am Pfuhler Baggersee gibt es eine Stelle, dachte er, wo sie so etwas machen können. Aber vorher gehe ich mit bloßen Händen auf ihn los. Damit er mich erschießen muss.
    Vor ihnen flackerte blaues Licht. An einer Absperrung stand ein Polizist und winkte mit einer Signalkelle. Der Mann am Steuer hielt. Krauser tastete nach der Türöffnung. Wieder stieß die Mündung des Revolvers hart gegen seine Hüfte.
    Der Polizist machte eine unmissverständliche Handbewegung. Der Fahrer setzte zurück und wendete. Der Kapo gab eine kurze Anweisung. Krauser verstand nichts. Sie fuhren zurück. Es ist die Richtung nach Wiblingen, dachte Krauser. Nicht die zum Pfuhler Baggersee. Das Rauschen des von den Reifen aufgewühlten Wassers wurde stärker. Fast schien es, als schwimme der Wagen. Links und rechts sah man Bäume, aber dazwischen war nur noch eine breite, schwarz schimmernde Wasserfläche. Sie ruinieren meinen Wagen, dachte Krauser, das ist doch kein Amphibienfahrzeug. Der Motor fing an zu stottern. Dann ging er aus. Nur noch trübe funzelten die Scheinwerfer über das Wasser.
    »Stopp«, sagte der Kapo. Du weißt nicht, was du redest, dachte Krauser. Da gibt es nichts mehr zu stoppen, siehst du das nicht? Der Fahrer zog den Zündschlüssel ab und öffnete mühsam die Wagentür. Dann fluchte er leise. Wasser schoss herein, umschloss Krausers Knöchel und drang kalt in seine Schuhe.

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