Schwemmholz
erfährt, was aus seinem Freund geworden ist, und zweitens, dass er überhaupt so etwas wie Trauer zu empfinden vermag.
Und das war nicht sehr wahrscheinlich. Wenn Jörg von etwas bekümmert war, dann von seiner strohfarbenen Frau. Er konnte sich nicht von ihr scheiden lassen, weil das Bauunternehmen ihrer Familie gehörte. Und weil er nicht das Zeug hatte, sich allein als Architekt durchzusetzen. Nein, dachte sie dann, von diesem Männerpaar war nicht der Patroklos hinter der Wand verschwunden, sondern Achill. Von einem trauernden Patroklos hatte noch kein Schwein je gelesen.
Ihr Werkzeug hatte sie wieder in der Plastikwanne verstaut. Als sie die Wanne aufnahm und in den Lastenaufzug brachte, fiel ihr auf, dass der Kellerboden nass geworden war. Nun war das Hochwasser also doch gekommen. Sie lächelte. Was für ein Glück sie doch hatte. Das Wasser würde alle Spuren abspülen. Nichts würde zurückbleiben. Erleichtert fuhr sie nach oben. Küche und Bad musste sie noch nass aufwischen, und erst die Plastikwanne und dann die Badewanne mit kaltem Wasser auswaschen. Danach würde sie duschen, lange und ausgiebig, und allen Dreck von sich abspülen.
Und was vorher in der Badewanne gelegen hatte, würde sie so wenig bekümmern wie ein abgeschnittener Fußnagel.
Der Bus kroch über die Brücke, die die Eisenbahnlinie ins Donautal überquert, tastete sich ein enges Sträßchen hinab und hielt vor einer Backsteinmauer. Aus den beiden Bustüren quollen Familien mit kurzhalsigen quengelnden Kindern. Ein älterer Mann mit einem Krückstock folgte ihnen. Ein asphaltierter Vorplatz verband den Hangar, zu dem die Backsteinmauer gehörte, mit einem holzverkleideten Gebäude. Das Bauwerk trug eine Glaskanzel und gab sich große Anstrengungen, nicht wie jene Flugaufsichtsbaracke auszusehen, von der Reinhard Mey gesungen hatte. Kinder drängelten sich vor einer Imbissbude. Schönheiten in lackglänzenden und knapp sitzenden Lederhosen, die Sonnenbrillen ins gefärbte Haar geschoben, palaverten über Einspritzdüsen, und breitärschige Männer liefen wichtig hin und her. Auf der Piste standen zwei Cessnas wie schläfrige Schnaken und hielten Abstand zu einer ehrwürdigen JU 28, die in ihrem wellblechernen Gehäuse auf ein paar spärliche Sonnenstrahlen wartete. Hoch über allem spotzte etwas durch die Luft, das sich nach fliegender Nähmaschine anhörte – ein ULM, ein Ultraleicht-Motorflugzeug.
Ein hoch gewachsener junger Mann, mit einer mächtigen Fotoausrüstung beladen, schob sich durch die Menge und kam lächelnd auf Berndorf zu. Der Fotograf des »Tagblatts« war dem Kommissar erst vor wenigen Monaten mit Abzügen
und Vergrößerungen behilflich gewesen, ohne die Berndorf in seinen damaligen Ermittlungen nicht weitergekommen wäre.
»Graben Sie schon wieder etwas aus?«, fragte er. »Nein«, antwortete Berndorf, »ich bin ganz und gar außer Dienst. Und ausgraben will ich schon gar nichts. Höchstens was aus der Luft angucken.«
»Kommen Sie doch einfach mit mir«, schlug der Fotograf vor. »Ich soll ein paar Luftaufnahmen machen, wie es an der Donau und Iller aussieht. Einer der Piloten hat mir einen Rundflug versprochen.« Sie gingen zusammen zu einem wieseligen kleinen Mann mit braunem Schnauz- und Kinnbart, der Berndorf ohne weitere Fragen die Hand schüttelte.
Berndorf musste im Aufsichtsraum seine Personalien angeben und eine Erklärung unterschreiben, dass er auf alle Haftungsansprüche verzichte. »Im Falle eines Falles«, feixte der Pilot beruhigend. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Auf der Straße zu Ihrem Haus ist es gefährlicher.«
»Wem sagen Sie das«, antwortete Berndorf.
Wenig später startete die Maschine auf der holprigen Piste, hob ab und wurde steil hochgezogen. Vor Berndorfs Augen breiteten sich die Hügel, Wälder und Weiden Oberschwabens aus. Und seine Seen.
Berndorf schüttelte den Kopf. Seen? Seit wann gibt es eine oberschwäbische Seenplatte? Der Fotograf stieß ihn in die Seite und deutete nach unten. Ein breiter, graubrauner Strom mäanderte durch die grüne Landschaft. Still, gelassen und mächtig. Nicht mehr das Flüsschen, das einige Dutzend Kilometer oberhalb im Karst versickert war.
Der Pilot drehte nach Osten ab und flog im Sinkflug über die Bundesstraße 30 und die Wälder im Süden des Ulmer Ortsteils Lettenbühl.
Unter ihnen kam die Erddeponie in Sicht, eine Ansammlung von Schrunden in der Erde, manche frisch aufgerissen, andere bereits wieder zugeschüttet. Berndorf
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