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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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holzgetäfelt, und über dem Stammtisch funzelte eine Lampe mit einem kupfernen Schirm. An der Wand hing gerahmt die Schlusstabelle der Zweiten Fußball-Bundesliga, auf der sich das Ulmer Adler-Wappen auf dem
dritten Platz behauptet hatte. Am Stammtisch spielten drei Männer Skat, ein vierter kiebitzte glatzköpfig.
    Berndorf ging zum Tresen und bestellte ein Bier. Er blieb stehen und sah den Skatspielern zu. Der Solo-Spieler, ein grauhaariger Mann mit einem Schnauzbart und einer auf die Nasenspitze gerutschten Halbbrille, war Pfeiffle.
    Er hatte Kreuz angesagt und spielte mit einer Unterzahl von Trümpfen, denn die der Gegenspieler waren höher und fielen jeweils zusammen. Plötzlich überzog ein sonniges Lächeln sein Gesicht, er warf die letzten beiden Karten auf den Tisch und sagte: »Für euch. Ich hab schon 62. Kreuz ohne sechs.«
    Während die anderen die Karten zusammenwarfen, wandte er sich an den Glatzköpfigen. »Übernimm für mich.« Dann stand er auf, kam auf Berndorf zu und reichte ihm die Hand. Der Händedruck war kräftig. »Wir gehen nach nebenan«, sagte er dann. Berndorf nahm sein Bier und folgte ihm in ein Nebenzimmer, wo Milchglasbänder ihr trübsinniges Licht über dem braunen Leinen der Tischtücher ausbreiteten.
    Sie setzten sich. »Das Schnitzel sollten Sie sich nicht entgehen lassen«, erinnerte Pfeiffle, und Berndorf antwortete höflich, er müsse leider auf sein Gewicht achten. »Das linke Bein hält noch nicht so recht.«
    »Sie sollten nach Isny zur Rehabilitation«, meinte Pfeiffle. Sein Schwiegersohn sei dort gewesen, nach einem schweren Unfall auf der Autobahn, »Waden- und Schienbein doppelt gebrochen, die Kniescheibe zertrümmert, was einem nicht alles passieren kann. Aber heute steht er wieder auf dem Tennisplatz.« Er machte eine Pause. »Man ist nie vorsichtig genug.«
    »Wohl wahr«, antwortete Berndorf. »Ich hab auch einiges dazulernen müssen.« Dann zog er den Umschlag mit den Luftbildern aus der Tasche, die er mit sich trug, und fächerte die Fotos vor Pfeiffle auf, als seien auch sie ein Kartenspiel.
    »Sie wissen, was das ist«, sagte er dann. »Die Deponie Lettenbühl. Aus der Luft fotografiert.«
    »Interessant«, meinte Pfeiffle. »Sie könnten die Bilder vergrößern lassen und aufhängen. Kunst in der Landschaft.«

    »Im Planfeststellungsbeschluss steht, dass die Deponie eine Laufzeit bis 2020 hat«, sagte Berndorf. »Wir schreiben das Jahr 1999. Die Deponie ist schon heute nahezu voll. Einen Trümmerberg kann die Stadt nicht aufschütten lassen. Der Planfeststellungsbeschluss schreibt vor, dass das ursprüngliche Landschaftsbild wiederhergestellt werden muss.«
    »Na ja«, sagte Pfeiffle. »Ist doch auch nicht schlimm. Die Leute in Lettenbühl werden uns dankbar sein, wenn die Deponie nicht erst in 20 Jahren geschlossen wird. Der Lärm und der Gestank von diesen Lastwagen sind kein Zuckerschlecken.«
    »Schön, dass sich das alles so günstig fügt«, sagte Berndorf. »Nur ist manchen Leuten der Lärm egal, den andere aushalten müssen. Die interessieren sich nur fürs Geld. Wenn die Deponie schon jetzt verfüllt werden kann, müsste die Stadt – so könnten sich diese Leute vorrechnen – aus den bisher eingegangenen Gebühren erhebliche Rücklagen gebildet haben. Sie muss dann ja auch Ersatz beschaffen. Ersatz für eine Deponie, die zwanzig Jahre länger hätte halten sollen.« Er sah Pfeiffle an und zog den Zwischenbericht hervor, den ihm Frentzel kopiert hatte. »Ich habe hier die Zahlen der Stadtkämmerei für das laufende Haushaltsjahr. Ich kann darin keine Rücklagen für Lettenbühl finden.«
    Pfeiffle nahm seine Brille ab, zog ein Taschentuch heraus und begann, umständlich die Brille zu putzen. »Sie ermitteln in einem Mordfall?«, fragte er langsam.
    Berndorf sah ihn nur an.
    »Ich bin ein alter Mann«, fuhr Pfeiffle fort. »Ich komm nicht mehr so ganz mit. Mir ist nicht klar, was das eine mit dem anderen zu tun hat, die Rücklagen der Stadt mit einem Mord.«
    »Lassen Sie es mich mit einem Beispiel erklären«, antwortete Berndorf. »Ein Mann will nach oben. Der Mann ist jung, ehrgeizig, er ist überzeugt, dass er die besseren Ideen hat. Was kostet die Welt? Er wird sie kaufen. Er wird alles tun, was man tun muss, um Erfolg zu haben. Er wird jeder Kröte die Hand küssen, wenn es hilfreich ist, und sich selbst zum Affen machen, wenn es die anderen Paviane gnädig stimmt. Aber eines
Tages stellt er fest, das alles reicht nicht. Die Welt ist schon

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