Schwemmholz
verteilt. Die besseren Ideen – ach Gott! Damit ist noch niemand reich geworden, wenn die anderen am längeren Hebel sitzen. Wie der Hase im Märchen rennt und hetzt und hastet unser junger Mann, aber am Ende jeder Furche hockt der Igel. Denn der Igel hat schon immer da gehockt.«
Pfeiffle hatte aufgehört, seine Brille zu putzen. Er setzte sie auf und schaute über die Gläser hinweg auf Berndorf. »Das mag schon so sein. Wenn ich es recht überlege, kenn ich ein paar solcher Hasen in unserer Stadt. Es ist der Lauf der Welt. Nur hat es mit den städtischen Rücklagen nichts zu tun.«
»Warten Sie es ab«, antwortete Berndorf. »In einer dunklen Nacht wird einem der Igel Öl in die schöne Furche geschüttet und angezündet. Da verbrennt sich der Igel ganz fürchterlich, und er ruft nach der Polizei, und die kommt auch und schaut sich die Bescherung an. Und stellt fest, dass da nicht nur ein Igel auf dem Acker hockt. Da hockt in jeder Furche einer. Und da will die Polizei dann schon wissen, warum das so ist, und warum die Igel alle so fett sind. Es ist nämlich ein städtischer Acker, auf dem das alles passiert.«
Berndorf trank sein Bier aus. Dann sammelte er die Fotografien wieder ein und verstaute sie in dem Umschlag. »Im Übrigen haben Sie natürlich vollkommen Recht. Es geht mich nichts an, wer hier alles auf Kosten der Stadt reich wird. Gar nichts geht mich das an. Ich werde diese Fotografien zur Prüfung an die mir zuständig erscheinenden Stellen weitergeben. Das heißt . . .« – er unterbrach sich und lächelte Pfeiffle ins Gesicht. »Sie sagten vorhin, man kann nie vorsichtig genug sein. Falls ich noch einmal einen Unfall haben sollte, wird es jemanden geben, der diese Fotografien weiterreicht. An die Kommunalaufsicht im Regierungspräsidium, an den Landesrechnungshof, an die Steuerfahndung. Vielleicht passiert beim Adressieren auch ein Missgeschick, und es erhält jemand die Unterlagen, der gar nichts davon wissen sollte, eine Firma zum Beispiel, die bei der Vergabe der Arbeiten für den Flughafenausbau leer ausgegangen ist.«
Pfeiffle betrachtete ihn starr. »Ich glaube«, sagte er langsam, »wir sollten noch ein Bier zusammen trinken.«
Welf stellte seinen Wagen im Halteverbot vor dem Klinikeingang ab und ging durch die sich automatisch öffnende Glastür in das Foyer. Als er an der Portiersloge vorbeikam, wollte ihn ein Mann in einem Hausmeistermantel mit einer energischen Handbewegung anhalten. Noch bevor der Hausmeister etwas sagen konnte, schob Welf einen Zwanzigmarkschein über den Tresen. »Ich muss nur jemand abholen.«
Welf blickte sich um. Plötzlich stand Judith neben ihm. Sie steckte in einem Trainingsanzug und sah blass und abgespannt aus. Eigentlich sieht sie nach gar nichts aus, dachte Welf. Eine kleine, schmuddelige Frau mit kurzem Haar.
»Du hast dir Zeit gelassen«, sagte sie.
»Ich bin aufgehalten worden«, antwortete Welf.
Judith sah zu ihm hoch und lächelte. Er hat erst seiner Frau absagen müssen, dachte sie. Sie hat ihn zum Abendessen erwartet. Es gibt Frauen, die können Ewigkeiten damit verbringen, verletzt durchs Telefon zu schweigen.
Sie stiegen in den Wagen, und Welf fuhr los. »Wieso um Gottes Willen warst du überhaupt im Krankenhaus?«
»Weißt du überhaupt, was los war?«, fragte sie zurück.
»Irgendwelche Verrückten haben dich als Geisel genommen. Mir tut das alles wirklich Leid. Aber wir sind erwachsene Leute, und mit Gesülze ist dir auch nicht geholfen.«
Judith schwieg.
»Die Polizei hat gesagt, du seist unverletzt«, fuhr er schließlich fort. »Deswegen bin ich – ja, erschrocken bin ich, als du aus dem Krankenhaus angerufen hast.«
»Kaum«, antwortete Judith. »Dass du deswegen erschrocken warst, glaube ich dir wirklich nicht. Im Übrigen ist es das Erste, dass sie einen nach einer solchen Sache ins Krankenhaus bringen. Das haben sie auch mit diesen beiden Polizisten gemacht, den anderen Geiseln. Die standen beide unter Schock, und der eine hatte eine üble Platzwunde im Gesicht.«
Welf fuhr mit dem Wagen auf die Umgehungsstraße, die zum Wohngebiet am Weißen Eselsberg führt. »Du hattest keinen Schock? Aber sowas kann später noch kommen.«
»Nein«, sagte Judith leise. »Kein Schock. Aber bei mir war eine gynäkologische Untersuchung notwendig.«
Welf warf einen unbehaglichen Blick auf sie. »Heißt das, sie haben dich . . .«
»Ja«, antwortete Judith. »Sie haben mich. Willst du Details wissen? So was geilt euch doch
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