Schwemmholz
eine Wasserwaage, ein Schutzhelm und anderes Werkzeug. Ich glaub, auch eine Maurerkelle.«
Tamar dankte und legte auf. Judith Norden war die Assistentin Welfs, was immer das bedeuten mochte. Offenbar bedeutete es, dass sie mit einer Maurerkelle umgehen konnte. Die Norden war in dieser Wohnung und also war sie auch die Frau, die als zweite Geisel genommen wurde.
Nur war das noch nicht alles, dachte Tamar. Ein paar Fragen würde sie dieser tüchtigen Frau schon noch stellen wollen. Doch dazu müsste man sie erst mal der Mafia aus dem Rachen reißen. Die Nürnberger hängen keinen . . . aber das war eine andere Geschichte. Sie nahm erneut den Hörer ab, wählte Desarts Nummer und erklärte ihm, was sie von ihm haben wollte.
»Sie suchen also noch immer nach diesem entsprungenen Gerichtsschreiber«, sagte Desarts. »Ihre Hartnäckigkeit, liebe Kollegin, ist ja wirklich beeindruckend. Aber ich kann mir nicht helfen. Ich glaube einfach nicht daran, dass dieser Herr Sander einem Komplott zum Opfer gefallen ist. Das ist ein ganz freundlicher unauffälliger Mann, dem tut keiner was. Der hat seine Midlife-Crisis genommen, hat diesen Justizalltag nicht mehr ausgehalten, mein Gott, wer wäre ich, dass ich ihn deswegen tadeln könnte . . .«
Die Männer und ihr Selbstmitleid, dachte Tamar. »Es kann ja durchaus sein, dass es so ist, wie Sie sagen«, räumte sie ein. »Aber was wir wirklich wissen, ist nur, dass Hartmut Sander ein disziplinierter und pflichtbewusster Beamter ist, der jedem
Abenteuer aus dem Weg geht. Und es gibt nun einmal eine Verbindung zu Stefan Rodek, von dem wir inzwischen wissen, dass er ein Gewalttäter ist. Lassen Sie uns deshalb dort draußen nachschauen. Nur zur Sicherheit.«
»Na gut«, sagte Desarts ergeben. »Ich bekomm sonst ja doch keine Ruhe vor Ihnen.«
Berndorf rief den Leiter der Fahrbereitschaft an und bat um einen Dienstwagen mit Automatikgetriebe. Mit seinem linken Bein könne er keine Kupplung bedienen.
Ein gequältes »Wo denken Sie hin!« entrang sich der Stimme am anderen Ende der Leitung. »Uns werden nicht einmal die dringendsten Ersatzbeschaffungen genehmigt. Die Rechnungsprüfung springt im Viereck, wenn wir auch noch Geld für eine Automatik ausgeben.«
»Schön«, antwortete Berndorf. »Dann mieten Sie eines für mich.«
»Aber das haben wir noch nie gemacht.« Die Stimme klang entsetzt. »Dafür gibt es ja nicht einmal Formulare.«
»Vergessen Sie es«, sagte Berndorf müde und legte auf. Dann rief er eine Autovermietung an und bekam die Zusage, dass für ihn ein Wagen bereitstehe.
Das wird was werden, dachte Berndorf beklommen. Dann öffnete er die beiden DIN-A3-Umschläge, die er am Morgen in seinem Briefkasten gefunden hatte. Der eine enthielt die Luftaufnahmen, die ihm der »Tagblatt«-Fotograf geschickt hatte. Einige Fotos zeigten lange Reihen aufgefüllter Hügel, andere wieder Gräben, die – wie es den Anschein hatte – erst vor kurzem von den Baggern aufgerissen und dann mit Planen ausgelegt worden waren.
Im zweiten Umschlag steckte, auf grauem Recyclingpapier ausgedruckt, der Halbjahresbericht des Finanzdezernenten mit einer Übersicht über die wichtigsten Haushaltsposten. Dabei waren den Einnahmen die Planansätze und die Ergebnisse der ersten sechs Monate des Vorjahres gegenübergestellt. Berndorf schlug den Abschnitt über die städtischen
Wirtschaftseinrichtungen auf. Nach einigem Blättern fand er die Zahlenreihen, die er gesucht hatte. Schließlich nickte er zufrieden und zog den Ordner zu sich her, in dem die wichtigsten dienstlichen Telefonverzeichnisse abgeheftet waren. Er suchte eine Nummer heraus und wählte.
Eine Männerstimme meldete sich. »Pfeiffle.«
Berndorf stellte sich vor. »Ich hätte Sie gerne gesprochen. Es ist ein dienstlicher Anlass, aber meine Frage ist vertraulich. Eine Verständnisfrage sozusagen.«
»Soso«, sagte Pfeiffle. »Also Sie sind das. Unsereins erfährt ja nichts mehr. Ich hab gedacht, Sie seien krankheitshalber schon im Ruhestand?«
»Ich bin wieder im Dienst. Seit heute.«
»Freut mich zu hören«, sagte Pfeiffle. »Und jetzt wollen Sie gleich am ersten Tag mich alten Mann sprechen. Meine Zahnbürste muss ich aber nicht schon einpacken?«
»Ich sag’s Ihnen, wenn es so weit ist«, antwortete Berndorf.
»Also gut«, meinte Pfeiffle. »Kommen Sie doch heute Abend ins Clubheim. Sie werden es nicht bereuen. Ein solches Schnitzel, wie Sie da kriegen, das gibt es nirgends sonst mehr.«
Berndorf
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