Schwemmholz
dafür hatten, kamen zu ihr ins Dorf.
Tagsüber hatte sie sich mit Sylvie abgewechselt. Am Nachmittag war Wilhelm aus dem Büro gekommen, früher als sonst. Er müsse noch die Pferde bewegen, hatte er gesagt. Außerdem habe er Sylvie versprochen, dass sie dabei helfen dürfe.
Ihr Mann und Sylvie waren dann zum Stall gegangen, und Vera hatte gehört, wie Sylvie über eine Bemerkung lachte. Es war ein helles, perlendes Lachen. Wann hatte Wilhelm zuletzt etwas gesagt, überlegte sie, über das man so lachen konnte?
Sie verstaute die größeren Scheine in ihrer Brieftasche und verschloss die Blechkassette mit dem Wechselgeld. Nachher musste sie auf dem Einödhof anrufen, weil sie frischen Salat brauchte. Sie sperrte die Tür zum Verkaufsraum zu und ging
über den Hof. Es roch nach frisch gemähtem Gras, und über den schon dunklen Himmel zogen aufgewühlte Wolkenfelder. Im Stall wieherte eines der Pferde.
Vera wollte weitergehen, dann zögerte sie und ging zum Stall. Die Stalltür war nur angelehnt. Sie schob sie vorsichtig auf. Der Geruch nach warmen Körpern schlug ihr entgegen. In der Box neben der Tür scharrte der Fuchswallach unruhig mit dem Huf. Vera griff zum Lichtschalter, zögerte dann aber, das Licht anzuknipsen. Eines der Tiere in den hinteren Boxen schnaufte merkwürdig. Keuchend. Als ob es hecheln würde. Sie runzelte die Stirn. Die Stute der Biberacher Zahnärztin war ihr schon die letzten Tage kränklich vorgekommen.
Angestrengt starrte sie in die Dunkelheit. Die Hand hatte sie vom Lichtschalter zurückgezogen. Allmählich konnte sie auch so die Konturen des Stalls und der Boxen erkennen. Das Geräusch kam nicht aus der Box der Stute.
Es kam aus der leeren Box. Vorsichtig tastete sie sich einige Schritte voran. Die leere Box war nicht leer. Etwas Helles war darin. Es war so hell wie . . . Plötzlich wusste sie es. Es war so hell wie die weiße Haut einer rotblonden Frau. Die Rotblonde stand vor dem Trog, leicht nach vorne gebeugt, und hielt sich daran fest. Das Keuchen wurde stärker.
»Entschuldigung«, sagte Vera in die Dunkelheit, »lasst euch nicht stören.«
»Eines verstehe ich nicht«, sagte Barbara. »Warum hast du ausgerechnet die Leute von diesem Bürgerblock gewarnt? So wie das klingt, ist das ein Verein von reaktionären Pfeffersäcken. Denen geht es doch nur um den eigenen Geldbeutel.«
»Eben drum«, antwortete Berndorf. Als Barbara anrief, hatte er sich gerade auf seiner Couch niedergelassen und das linke Bein auf den Schachtisch gelegt. »Außerdem habe ich Pfeiffle nicht gewarnt. Ich habe einen Deal mit ihm gemacht. Er ist der Einzige, mit dem ich das tun kann. Er weiß, was Sache ist und wieviel Geld auf dem Spiel steht. Und vor allem weiß er, was Geld ist. Die anderen wissen es nicht.«
Barbara grummelte. »Du redest wie ein zynischer Bankmanager. Hast du meine Party nicht vertragen?«
Berndorf meinte, es könnte auch der Rückflug von Berlin gewesen sein. »Da saßen solche nadelgestreiften Esel um mich herum. Vielleicht haben die was, was ansteckend ist.«
»Wir werden das weiter beobachten«, erklärte Barbara streng. »Wenn ich schon dabei bin: Was wird eigentlich aus eurem Alain-gegen-die-Mafia?«
»Schwierige Frage«, sagte Berndorf. »Von Rechts wegen ist er wegen versuchter Erpressung dran. Das würde irgendwas zwischen einem und zwei Jahren zur Bewährung geben. Aber danach käme noch das Disziplinarverfahren, und das bedeutet, dass ihn Rentz rausschmeißen lässt.«
»Das find ich nicht gerecht«, meinte Barbara. »Von den VHS-Honoraren seiner Claudia kann er nicht leben.«
»Wann ist die Welt schon gerecht?«, fragte Berndorf zurück. »Aber ich weiß gar nicht, ob wir Krauser vor Gericht stellen sollen. Wir müssten den Wirt der Trattoria als Zeugen vorladen, und damit wäre er als Kontaktperson zu uns verbrannt. Daran hab ich überhaupt kein Interesse.«
»Also?«
»Wir werden erklären, dass Krauser in besonderem Auftrag ermittelt hat. Und dann sehen wir zu, dass er befördert wird. Am besten in die Landespolizeidirektion nach Stuttgart.«
Dienstag, 1. Juni
In dem klaren Morgenlicht sah das Haus noch ärmlicher aus, als Tamar es in Erinnerung hatte. Zum dritten Mal drückte sie auf den Klingelknopf, ließ aber diesmal ihren Finger darauf. Es dauerte eine Weile, bis sich in der Sprechanlage eine Stimme meldete: »Wohl verrückt geworden?«
»Polizei«, sagte Tamar. »Wir hätten Sie gerne gesprochen.«
»Bin krank. Kommen Sie später«, krächzte
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