Schwemmholz
rechten Arm trug er in einer Schlinge. Er sah Berndorf abwartend an und sagte nur: »Ja?«
Berndorf wies auf den Besucherstuhl. Welf schüttelte den Kopf: »Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen. Und dann würde ich gerne gehen. Oder mit meinem Anwalt reden.«
»Sie können gleich gehen«, antwortete Berndorf. »Sie wissen, dass der Tote in Ihrem Neubau Stefan Rodek ist?«
Welf schüttelte kurz den Kopf. Eigentlich war es mehr ein ärgerliches Zucken, wie von einem unerwarteten Schlag oder Stich. »Nein, das hat man mir nicht gesagt.«
»Ihr Anwalt sagt, Sie seien mit Rodek befreundet gewesen.«
»Ich war mit ihm bekannt. Früher.«
»Sie haben mir das einmal anders gesagt.«
»Ich wollte nicht daran erinnert werden.« Plötzlich zog er den Besucherstuhl zu sich her und setzte sich.
»Es interessiert Sie nicht, wie er zu Tode gekommen ist?«
»Sie werden es mir sagen.«
»Später«, antwortete Berndorf. »Ich muss Sie von etwas anderem in Kenntnis setzen. Ihre Assistentin Judith ist mit Ihrem Sohn weggefahren. Hat das Ihr Einverständnis?«
»Sind Sie verrückt? Wie kommt Judith zu so etwas? Und warum soll ich mein Einverständnis dazu gegeben haben?« Welf nahm sich die Brille ab, legte sie vor sich auf den Tisch und rieb sich die Augen. Dann schaute er kurzsichtig zu Berndorf hoch. »Verstehe ich das richtig: Sie sitzen hier und erzählen mir einfach so, dass Judith — dass diese Frau meinen Sohn entführt hat?«
»Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann oder muss.«
»Es ist ein bisschen viel, was Sie mir zumuten, wissen Sie das? Sie brechen mir den rechten Arm, beschuldigen mich ich weiß nicht welcher Verbrechen, und während Sie dies tun, lässt es die Polizei zu, dass mein Sohn entführt wird.«
»Ich verstehe, dass Sie das so darstellen«, antwortete Berndorf. »Wir bringen Sie jetzt zu Ihrer Frau. Oder wollen Sie in Ihr Büro?« Welf schüttelte den Kopf.
»Nur eines noch. Haben Sie eine Vorstellung, wohin Frau Norden mit Ihrem Sohn gefahren sein könnte? Hat Sie Angehörige, Freunde, zu denen sie gefahren sein könnte.«
Welf schüttelte wieder den Kopf. »Nein«, sagte er. »Tut mir Leid. Ich habe keine Ahnung.«
»Absurd«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Judith ist nicht einfach, weiß Gott nicht. Sie ist launisch, jähzornig, und wenn ihr einer zu dumm kommt, kann sie zur Furie werden. Aber berechnend ist sie nicht. Dass sie an einer Entführung beteiligt sein soll, glaube ich Ihnen nicht.«
Berndorf, Tamar und Kuttler hatten in der vergangenen Stunde versucht, einiges über die Lebensumstände von Judith Norden herauszufinden.
Das Ergebnis war eher dürftig. Sie war in Siegen geboren, aber in Marburg aufgewachsen. Sie hatte keine Geschwister, und von ihren Eltern lebte nur noch die Mutter, die aber keinen Kontakt mehr mit der Tochter hatte. Jedenfalls behauptete sie das. Dass die Polizei wegen Judith bei ihr anrief, hatte sie als höchst empörend empfunden, vor allem der Störung der eigenen Privatsphäre wegen.
Immerhin war ihr der Name eines Architekten eingefallen, mit dem ihre Tochter einige Zeit verlobt gewesen war. Der Mann war beim Hochbauamt der Stadt Frankfurt beschäftigt, und nach einigen Mühen war es Berndorf gelungen, ihn aus einer Besprechung heraus ans Telefon holen zu lassen.
»Und was passiert, wenn sie jähzornig wird?«, hakte er nach.
»Dass Sie sich eine Platzwunde einfangen«, antwortete der Mann unfroh. »Sie glauben ja gar nicht, welchen Effekt ein Aschenbecher machen kann, der Ihnen an die Stirn gedonnert wird. Aber das ist nicht das Schlimmste.«
»Sondern?«
»Die kalte Wut. Die Entschlossenheit, mit der sie Ihnen die Koffer vor die Tür stellt. Dabei kann ich vermutlich froh sein, dass es bei uns nicht länger gedauert hat.«
Da liegst du wohl nicht falsch, dachte Berndorf. »Und warum hat sie Ihnen die Koffer vor die Tür gestellt?«
»Sie wollte nicht, dass ich nach Frankfurt gehe. Wir lebten damals in Karlsruhe und arbeiteten beide in einem Architektenteam, das mit neuen, ökologischen Bauweisen experimentiert hat. Ich habe dann gemerkt, dass das vorerst keine rechte Zukunft hat, und habe mich hierher beworben.«
Berndorf musste an den Welf’schen Glas- und Stahlpalast denken. Und an einen Satz, der dort gefallen war: Irgendwann werde ich mir ein Lehmhaus bauen.
»Wie ist das Verhältnis von Frau Norden zu Kindern?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung zögerte. »Fragen Sie jetzt, ob wir Kinder haben wollten? Das
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