Schwemmholz
es wissen. Der Laptop ist zwar ein bisschen kaputt. Deckel und Bildschirm sind eingedrückt. Aber er war in eine Plastiktüte eingewickelt und so vor der Nässe geschützt.
Durchaus möglich also, dass die Festplatte intakt geblieben ist. Sagt jedenfalls Kollege Schmoltze vom OK. Er will sich das Gerät heute Abend ansehen.« Schmoltze, vor kurzem dem Dezernat »Organisierte Kriminalität« zugeteilt, war als Computerfreak bekannt.
»Macht er Überstunden für uns?«
»Na ja«, antwortete Kuttler, »morgen hat er keine Zeit, weil er einen Einsatz bei dieser Baufirma Gföllner hat.«
Schau an, dachte Berndorf. Rentz wird im Viereck springen.
Das Telefon summte. Berndorf hob ab und meldete sich. Am anderen Ende der Leitung war Kovacz.
»Ihr ulmischer Muhammad Ali hat einen interessanten Tod gehabt«, sagte er zur Begrüßung.
»Erklären Sie es mir?«
»Ein Tod mit sozusagen ganz eigenem Reiz.« Kovacz machte eine Pause. Jetzt soll ich das Hundchen machen, das ihn auf Hinterpfoten um seine Pointe bittet, dachte Berndorf und schwieg beharrlich. Im anderen Zimmer sah er Tamar am Telefon. Sie wirkte bedrückt.
»Sie mögen doch Gedichte?«, plauderte Kovacz ungehemmt. »Es gibt eines von Conrad Ferdinand Meyer, das von einer antiken Statue handelt. Sie wird von Gärtnern bei einer römischen Villa gefunden, und ein junges Mädchen und ein Gelehrter streiten sich darum, wen die Statue darstelle. Amor, so meint das Mädchen, aber dem Gelehrten fällt auf, dass die Statue eine erloschene Fackel trägt. ›Dieser schöne Jüngling ist der Tod‹, sagt er und beendet Debatte und Gedicht.«
»Schön«, sagte Berndorf. »Und wer, bitte, ist in unserem Fall der schöne Jüngling?«
»Sie haben doch sonst einen Sinn für Allegorisches«, sagte Kovacz streng. »Ich wollte Ihnen nur verdeutlichen, wie nah verwandt die Lust und der Tod sind. Kennen Sie nicht den petit mort bei der Liebe? Unser Boxer jedenfalls hat dabei auch seinen richtigen Tod erlebt. Will sagen, er hatte eine ziemlich leere Samenblase. Und auch die Anhaftungen an
dem Gerät, das ihm post mortem abgetrennt wurde, deuten daraufhin, dass er vor seinem Tod Verkehr gehabt hat.«
»Mit einer Frau?«
»Aber sicher doch. Warum fragen Sie?«
Berndorf ging nicht darauf ein. »Wodurch ist der Tod herbeigeführt worden?«
»Durch einen sauberen Messerstich ins Herz, der schräg von unten in den Brustkorb geführt wurde. Sehr schön angesetzt und präzis ausgeführt.«
»Wissen wir etwas über den Täter? Kann es eine Frau getan haben, oder muss es ein Mann gewesen sein?«
»Es kann durchaus eine Frau gewesen sein. Klassische Missionarsstellung, stelle ich mir vor, im Augenblick des Orgasmus rammt ihm die Frau das Messer unter der untersten Rippe hindurch in den Brustkorb. Ich sagte ja, der Mann ist auf interessante Weise umgekommen.«
Pathologenhumor, dachte Berndorf, bedankte sich und legte auf. Berndorf drehte seinen Stuhl zum Fenster und versuchte, sich ein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Kurze dunkle Haare, eine Stupsnase, ein aufmerksamer, wacher weiblicher Clown. Er zuckte die Achseln.
»Diese Judith Norden«, sagte eine Stimme in seinem Rücken, »die haben wir wohl unterschätzt.« Tamar hatte ihr Telefonat beendet und war in Berndorfs Büro zurückgekehrt. »Diese Frau hat sich nämlich den kleinen Jungen der Familie Welf geschnappt. Georgie heißt der Junge. Es ist ein Mongie.«
Kuttler schaute strafend zu ihr hoch.
»Entschuldigung«, berichtigte sie sich, »es ist ein Kind mit Downsyndrom. Die Mutter hat gerade angerufen. Sie war hier gewesen, hatte ihrem Mann frische Unterwäsche und Rasierzeug gebracht, und als sie wieder nach Hause kam, war das Kind weg. Eine Frau hat das Kind einer Schülerin aus der Nachbarschaft abgenommen, die den Jungen hüten sollte. Die Frau ist mit dem Van der Welfs weggefahren. Der Beschreibung nach, die die Schülerin gegeben hat, handelt es sich bei der Frau zweifelsfrei um Judith Norden.«
Berndorf starrte Tamar an. Es war ein müder, ratloser, hilfloser Blick. »Frau Welf hätte nicht hierher kommen müssen. Wir werden ihren Mann nach Hause schicken. Wie es aussieht, kommen wir derzeit nicht an ihn heran.«
Er zog das Telefon zu sich her, wählte eine Dienstnummer und bat, Jörg Welf zu ihm zu bringen. Dann sah er seine beiden Kollegen an. »Ich will mit ihm allein reden.«
Wenig später brachte ein uniformierter Beamter Jörg Welf in Berndorfs Büro. Welf trug ein frisches Hemd, war aber unrasiert. Seinen
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