Schwemmholz
Menschen, der eine Brille trug, um sich dahinter zu verstecken. Außerdem hatte er eine widerliche Art, an ihr vorbeizugehen und sie dabei zu streifen.
Es klingelte. »Mama«, sagte Georgie und lief zur Tür. Solveig öffnete. Vor ihr stand die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren, die sie schon einmal mit Welf zusammen in der Stadt gesehen hatte. Die Frau nahm Georgie auf den Arm, bevor sich der Junge abwenden konnte.
»Hallo, Georgie, da bin ich wieder. Das ist nett, dass Sie auf ihn aufpassen«, sagte die Frau. »Marie-Luise ist in die Stadt
gefahren, ich weiß, denn Sie hat mich zu Ihnen geschickt.« Sie lächelte flüchtig. »Jetzt hat sich aber etwas Neues ergeben. Georgies Papa möchte ihn sehen, und ich soll ihn bringen.«
Solveig betrachtete die Frau misstrauisch. Die Frau hatte sich an der Wange gestoßen, oder sie war geschlagen worden. Die Stelle war notdürftig unter Puder verborgen. »Sie haben sich gestoßen?«, fragte sie. »Sie sollten sich einen Umschlag machen. Am besten mit essigsaurer Tonerde.«
»Ja«, sagte die Frau hastig. »Ich bin gegen die Tür gelaufen, zu dumm. Aber das mit der essigsauren Tonerde ist sicher ein guter Vorschlag.« Sie sah sich suchend um, hielt aber Georgie fest an sich gedrückt. »Ich sollte jetzt aber fahren, Marie-Luise hat gemeint, ich solle den Van nehmen, des Kindersitzes wegen.« Ihr Blick irrte zu Solveig zurück. »Der Schlüssel hängt, glaube ich, in der Garderobe.«
»Es geht nur mit dem Van«, sagte Solveig streng. »Ohne ein Auto mit Kindersitz würde ich Ihnen Georgie gar nicht mitgeben.« Sie drehte sich um und blickte suchend zur Garderobe. »Wir gehen jetzt deinen Papa besuchen«, sagte die Frau zu Georgie. »Weißt du, er freut sich so auf seinen kleinen Jungen.« Solveig hatte den Schlüssel für den Van entdeckt. Er lag in einer Keramikschale auf dem Handschuhschrank. »Hier«, sagte sie. Die Frau nahm den Schlüssel und bat noch um Georgies Anorak. »Es ist ja ein bisschen sommerlich geworden, aber heute Abend soll es schon wieder schlechter werden.«
Solveig nahm den Anorak von der Garderobe und begleitete Georgie und die Frau in die Garage. Georgie fuhr gern Auto und kletterte bereitwillig in den Kindersitz. Solveig schloss die Kindersicherung. Die Frau stieg ein und öffnete mit der Fernbedienung das Garagentor. Dann fuhr sie los, ohne den Sicherheitsgurt anzulegen.
Solveig sah ihr nach. Dann schloss sie das Garagentor, nahm ihr Biologie-Arbeitsbuch und ging über die Straße zum Haus ihrer Eltern. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich noch etwas arbeiten kann, dachte sie dann.Trotzdem hatte sie das Gefühl, als habe sie etwas falsch gemacht.
Berndorf hatte seinen Schreibtischstuhl so gedreht, dass er aus dem Fenster sehen konnte. Auf der anderen Seite des Schreibtisches saß Kuttler, und am Türrahmen lehnte Tamar.
»Das Interview war okay«, sagte sie. »Wir müssen nicht jedem Menschen Honig ums Maul schmieren, nur weil er uns ein Mikrofon vorhält.« Es war jetzt einfach nicht der Zeitpunkt, dachte sie, ihm seinen arroganten Tonfall vorzuhalten.
»Nett, dass Sie das sagen«, antwortete Berndorf. »Natürlich hab ich mich mal wieder im Ton vergriffen. Aber das ist nicht das Problem.«
»Sondern?« Das war Kuttler.
»Wir verlieren schon wieder«, sagte Berndorf. »Ich spüre es in meinem kaputten Bein. Ich hatte mal einen Vorgesetzten, einen von der Kriegsgeneration, der hatte einen Granatsplitter im Rücken, den man nicht operieren konnte. Und der Granatsplitter hat ihn immer gejuckt, wenn er einen Kunden laufen lassen musste. Wir haben uns immer darüber lustig gemacht.« Er verzog das Gesicht. »Nun geht es mir auch schon so.«
Im Zimmer nebenan klingelte das Telefon. Tamar ging zu ihrem Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Sie meldete sich, und aus der Entfernung klang es, als breche eine Sturzflut von Klagen über sie herein.
»Und warum verlieren wir?«, fragte Kuttler.
»Weil Welf nun erst recht die Möglichkeit hat, alles auf Rodek zu schieben. Oder auf seine gewesene Geliebte. Ich hoffe nur, dass wir diese Frau Norden zu Gesicht bekommen, bevor auch die tot und begraben oder eingemauert ist.«
»Sie sind zu pessimistisch«, sagte Kuttler. »Wir haben doch noch längst nicht alles ausgewertet. Tamar hat bei dem Toten unter den Steinen einen Laptop gefunden.« Berndorf blickte hoch. »Wir wissen nicht, wem dieses Gerät gehört oder gehört hat, und wir wissen auch nicht, was es enthält. Aber heute Abend werden wir
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