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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Sturmwarnung. Und wir haben jede Menge Schwemmholz im See, ganze Felder.«

     
    Es war Abend geworden. Über den Hügeln hingen dunkle Wolken. Bei Waldsee führte die Straße über eine Bergkuppe, von der aus man sehen konnte, wie im Süden die Wolkendecke aufriss und ein breites Lichtband freigab, das die Alpen vom Allgäu bis zum Säntis blau und transparent illuminierte.
    »Wow«, sagte Tamar und nahm den Fuß vom Gaspedal. »So hab ich das noch nie gesehen.«
    Ein BMW mit gleißenden Xenon-Scheinwerfern schloss auf. »Saukerl«, sagte Tamar und beschleunigte wieder.
    Berndorf saß schweigend neben ihr. Vor einer halben Stunde hatte Schweitzer angerufen. Der Van mit der Ulmer Nummer war in Langenargen auf einem Parkplatz vor der abgesperrten Uferstraße gefunden worden. Der Wagen war leer.
    »Aber eine Nachbarin hat gesehen, wie eine Frau ein Kind zum Haus der Welfs getragen hat und eilig mit ihm hineingegangen ist«, hatte Schweitzer weiter berichtet. »Tragen musste sie es, weil die Uferstraße überflutet ist. Die Nachbarin will die Frau schon öfters gesehen haben.« Inzwischen hatte die Polizei die Umgebung abgesperrt. Auf dem See wartete ein Boot der Wasserschutzpolizei.
    Sie fuhren die Straße hinunter, die ins Schussental und weiter nach Ravensburg führte. Die Landschaft öffnete sich. Die blassblaue, durchscheinende Front der Berge war jetzt von einem rötlichen Licht übergossen.
    »Sagen Sie mal, Chef«, fragte Tamar, »hat Ihnen Kovacz eigentlich etwas über die Verletzungen Rodeks gesagt?«
    »Rodek hat einen Messerstich abbekommen, der präzis ins Herz gegangen ist«, antwortete Berndorf. »Passiert ist das post coitum, wie Kovacz mir ausgebreitet hat.«
    »Was soll ich dazu sagen?«, meinte Tamar dunkel. »Aber ich will etwas anderes wissen. Weist die Leiche denn keine anderen Verletzungen auf, beispielsweise von einem Schuss?«
    Berndorf warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Ich habe nicht danach gefragt. Kovacz hätte es mir vermutlich gesagt.«
    »Ich werde ihn morgen noch einmal fragen«, sagte Tamar abschließend.

    Berndorf nickte kurz. Diese Ermittlungen musste er ihr überlassen.
     
    Judith saß am Küchentisch und rauchte eine Zigarette. Sie hatte mit dem Jungen auf dem Arm durch kniehohes Wasser waten müssen, bis sie verfroren und völlig zerschlagen das Haus erreicht hatte. Wenigstens hatte sie in einem der Schlafzimmer Jeans und Wollsocken gefunden, die ihr passten. Ob sie Marie-Luise gehörten oder einem von Welfs Spielzeugen?
    Georgie drückte sich quengelnd am Tisch herum. Er hatte Durst, aber der Orangensaft, den Judith im Kühlschrank gefunden hatte, schmeckte ihm nicht. Zum Abendessen hatte sie ihm Zwieback und eine Tafel Schokolade gegeben. Ernährungsbewusst war das sicher nicht. Aber in den Vorräten hatte sie nichts anderes gefunden. Sie hatte es auch aufgegeben, Georgie auf seinem Kinderstuhl sitzen zu lassen. Trotz der Sicherung hatte er sich herausgewunden. Ein erheblicher Teil der Schokolade war in seinem Gesicht verteilt.
    Sie war schon heute Morgen am Rande dessen angelangt, was sie ertragen konnte. Nun hatte sie sich noch dieses Kind aufgeladen. Sie drückte die Zigarette aus, stand auf, nahm Georgie bei der Hand und ging mit ihm ins Bad und wischte die Schokolade ab. Dann brachte sie ihn in das Kinderzimmer, wo sie in einem Schrank einen Schlafanzug für ihn fand. Aber er wollte sich nicht von ihr ausziehen lassen.
    »Mama«, sagte er. »Nicht du.«
    Judith lächelte ihn an. Dann erklärte sie ihm, dass sich von ihr aus Kinder überhaupt nicht auszuziehen bräuchten und einfach so ins Bett krabbeln dürften. »Aber wenn nachher deine Mama kommt, dann will sie doch, dass du den schönen Schlafanzug anhast.«
    Georgie starrte sie misstrauisch an. »Nicht du«, wiederholte er. »Mach was du willst«, sagte Judith. Sie löschte das Licht im Kinderzimmer bis auf eine kleine Leuchte am Kinderbett und trat ans Fenster. Die Jalousien waren geschlossen, aber es war ihr klar, dass der Lichtschein draußen zu sehen gewesen
war. Sie löste die Sicherung der Jalousie und zog sie vorsichtig so weit hoch, dass sie hinausspähen konnte. Das Kinderzimmer lag einer Ufervilla gegenüber, auf deren Fensterfront ein letzter Schimmer der untergehenden Sonne fiel. Sie beugte sich zu dem Spalt zwischen dem Ende der Jalousie und dem Sims hinunter und beobachtete das Nachbarhaus.
    In einem der Fenster sah sie zwei winzige Lichtflecke. Sie hätte wetten können, dass sie zu einem Fernglas

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