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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sondern bezieht sich auf Dinge, die zurückliegen. Die eben nicht jeder wissen kann.
    Schmoltze gab einen Befehl ein, und auf dem Bildschirm puzzelte sich das Verzeichnis der Dateien neu zusammen. Fast auf den ersten Blick sprang Kuttler ein Name ins Gesicht. »Da ist eine Datei ›Vera Brief‹. Ruf mir die auf.«
    Auf dem Bildschirm erschien die Vorlage eines Geschäftsbriefes, korrekt adressiert an Herrn Architekt Jörg Welf, jedoch mit dem Vermerk »persönlich«. Ein Absender war nicht angegeben. Kuttler begann zu lesen:
     
    Sehr geehrter Herr Welf,
    Sie kennen mich nicht, wie sollten Sie auch. Sie sind eine bedeutende Persönlichkeit in dieser Stadt, ich bin es durchaus nicht, und es wäre vollkommen unbillig von mir, wenn ich von Ihnen verlangen sollte, sich an mich zu erinnern, zumal die Erinnerung Ihnen möglicherweise keine angenehme sein würde, zumindest hoffe ich das für Sie. Heute haben Sie Umgang mit anderen bedeutenden und vor allem angesehenen Menschen in dieser Stadt. Wer denkt da schon gerne zurück an Zeiten, in denen man aus jugendlichem Leichtsinn oder Unbekümmertheit noch ganz anderen Umgang gehabt hat — einen Umgang, an den man vielleicht auch deshalb nicht gerne erinnert werden will, weil er ein merkwürdiges Licht auf aktuelle Vorkommnisse werfen könnte? Auf Beziehungen und Querverbindungen vielleicht, die besser verborgen blieben?
    Für heute möchte ich es dabei bewenden lassen. Seien Sie versichert, dass ich unser Gespräch über das, was vergangen ist und doch nicht vergehen will, fortsetzen werde.
    Mit freundlichen Grüßen Ihr Unbedeutend.
    Kuttler und Schmoltze sahen sich an. »Bingo«, sagte Kuttler.
     
    »Welf holte Rodek am Stadtbahnhof in Friedrichshafen ab«, fuhr Judith fort. »Wir warteten auf dem Bahnsteig, und dann sprang er aus dem Zug, ein großer Kerl, federnd, athletisch,
breitschultriger als Welf, aber es waren nicht die breiten Schultern. Es war der ganze Mann, tough, einer, der mit der Schulter durch die geschlossene Tür geht, ein Scheißkerl von einem Macho eben. Das Merkwürdigste aber war, was mit Welf geschah. Er regredierte. Plötzlich war er nur noch der bewundernde kleine Bruder, und das trifft es noch nicht einmal. Vielleicht sollte ich sagen, Welf war das Mädchen. Das Mädchen aus gutem Hause, das sich heimlich mit seinem Lover aus der Unterstadt trifft.«
    »Und Sie haben da nicht gestört?«
    Judith verzog das Gesicht. »Ich war das Medium. Noch in der gleichen Nacht habe ich mit beiden geschlafen. Das heißt, sie haben es mit mir gemacht. Ich war das Hilfsmittel, das es ihnen ermöglicht hat, miteinander zu ficken. Mit anderen Frauen haben sie das auch so gemacht, schon früher.«
    Ich weiß, dachte Berndorf. »Sie sagten vorhin, Welf sei am Ende gewesen. Bis Rodek auf der Bildfläche erschienen sei. Was hat sich dann geändert?« Unversehens wurde Judiths Gesicht eisig. Die kalte Wut, dachte Berndorf. »Wie komme ich dazu, Ihnen überhaupt irgendetwas zu erzählen? Was haben Sie denn mir anzubieten?«
    »Nichts«, sagte Berndorf. »Sie müssen mir auch nichts erzählen. Sie können sich damit abfinden, was Welfs Anwalt erzählen wird.«
    »Scheiße«, antwortete Judith. »Diese Lügengeschichten verpflichten mich zu nichts.« Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die Fingernägel ihrer rechten Hand, deren Zeige- und Mittelfinger gelb vom Zigarettenrauch waren. Eine heftige Bö schlug gegen die heruntergelassene Jalousie.
    »Wollen Sie wissen, wie es wirklich war? Hier an diesem Tisch hat alles angefangen. Rodek saß da, wo Sie jetzt sitzen, und hörte sich Welfs Klagen an, dass er abgeblockt werde und ausgetrickst, dass er gegen eine Betonwand laufe, mit Filz ausgepolstert, und dass überall der Gföllner seine Finger drinstecken habe. Eine Weile lang hat Rodek nur zugehört. Und plötzlich hat er ihm in aller Ruhe gesagt, er soll mit der Heulerei
aufhören und sich entscheiden, ob er zum Konkursrichter gehen will oder aber dem Gföllner an den Kragen.«
    Judith unterbrach sich. »Ich muss was trinken. Aber keinen Tee.« Sie stand auf und schob sich die Beretta in den Hosenbund. Dann ging sie zum Kühlschrank. »Wollen Sie auch was? Das Bier hier ist eine üble Plempe. Aber wir könnten diese Witwe da nehmen.«
    Sie kehrte mit einer Flasche Veuve Clicquot und zwei Pappbechern zurück und öffnete das Drahtgeflecht der Sektflasche. Mit einem trockenen Plopp löste sich der Korken, und sie schenkte ein.
    »Ich sag jetzt nicht Santé«, meinte sie

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