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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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schweren Schritten kam jemand die Treppe herab. Es war einer der neuen Mieter. Er steckte in einer abgetragenen Lederkluft, und die Haare hingen ihm bis auf die Schultern. Unter dem offenen Hemd war er bis zum Halsansatz tätowiert.
    »Mach dich dünne, Opa«, sagte der Tätowierte und stieß ihn zur Seite. Skrowonek hob abwehrend die Hand, und die Einkaufstüte fiel klirrend auf den Boden. Über dem Treppenabsatz breitete sich eine rote Weinlache aus.
    »Schaut den alten Suffkopf an. Versaut die ganze Treppe.«
    Skrowonek öffnete zornig den Mund. Mit seinem Krankenkassen-Gebiss sah er aus wie ein seltsam knochiger Fisch, der nach Luft schnappt. Ein zweiter Mann kam die Treppe herunter. Er war untersetzt und trug Jeans und einen speckigen Pullover. »Hat sich der Opa erschreckt?«, fragte er und stemmte die Arme in die Seiten. »Hat was fallen lassen? Ist schon ganz tappig im Hirn vom vielen Süffeln?«
    »Entschuldigung«, brachte Skrowonek heraus. »Er hat mich gestoßen.«
    »Ich hör wohl nicht recht«, sagte der Tätowierte und packte den alten Mann am Revers seiner grauen Jacke. »Niemand stößt hier einen Opa. Für Opas ist das Stoßen schon lange rum.«
    Er zog Skrowonek zu sich her und starrte dem Alten in die wässerigen Augen, bis er die Angst darin sah. »Ich seh, du verstehst mich.« Dann stieß er ihn zurück. »Und jetzt putzt du die Sauerei da auf. Wir sind hier nicht bei den Kanaken.«
    »Ja, entschuldigen Sie bitte«, sagte Skrowonek. »Sicher putz ich es auf. Gleich. Ich muss nur einen Lappen holen, und einen Eimer.« Er zitterte.
    »Was ist mit Ihnen? Kann ich Ihnen helfen?« Eine helle Stimme drang zu ihm durch. Sie gehörte einer jungen Frau. Es war die Frau, die mit Skrowonek an der Station ausgestiegen war.

    »Vorsicht, Schnepfe«, sagte der Tätowierte. »Misch dich da nicht ein. Verpiss dich.«
    »Sind Sie belästigt worden? Soll ich die Polizei rufen?«, fragte die junge Frau und sah Skrowonek in die Augen.
    »Du sollst dich verpissen«, wiederholte der Tätowierte und packte die Frau am Arm. Sie schien zu erstarren. »Was für eine magere Portion«, sagte der Mann zu seinem Kumpel, der noch auf der Treppe stand. »Lohnt nicht . . .« Er grinste.
    Plötzlich riss sich die Frau von ihm los und rammte ihm das Knie in den Unterleib. Dann begann sie, gellend um Hilfe zu rufen. Der Tätowierte sank zusammen und krümmte sich vor Schmerz. Sein Kumpel sprang auf den Treppenabsatz hinab und kam auf die Frau zu. »So nicht«, sagte er. Skrowonek drückte sich an die Wand und ließ ihn vorbei.
    Die junge Frau schrie noch immer. »Scheiße, mach sie fertig«, ächzte der Tätowierte. Eine alte Frau mit schütteren grauen Haaren kam die Treppe herunter. Es war Maria Skrowonek. In der Hand hielt sie einen Schürhaken. Auch im Stockwerk unter ihnen hatte sich die Tür geöffnet, und ein stämmiger dunkelhaariger Mann, dessen Oberarmmuskeln ein schmuddeliges T-Shirt spannten, stieg bedächtig die Treppe hoch.
    »Is ja gut«, sagte der Untersetzte und blieb stehen. Dann drehte er sich zu dem Dunkelhaarigen um und hob beschwichtigend beide Hände. Maria Skrowonek war hinter ihm auf der Treppe. Sie holte aus und schlug ihm den Schürhaken auf den Schädel. Es gab ein hässliches, fettes Geräusch. Der Untersetzte knickte in den Kniekehlen ein. Dann griff er sich an den Kopf.
    Die junge Frau hatte aufgehört zu schreien und schaute auf den Mann herab, der vor ihr kniete und entsetzt auf seine Hände starrte. Sie waren über und über blutverschmiert.
    Die junge Frau lächelte Maria Skrowonek an. »Bingo.«
     
    Das Rathaus der Gemeinde Wiesbrunn war in den siebziger Jahren von einem Architekten erbaut worden, der dafür einen
zweiten Preis der deutschen Baustoffindustrie erhalten hatte. Im Vorzimmer des Bürgermeisters wurde Berndorf von einer grauhaarigen Sekretärin gebeten, Platz zu nehmen: »Der Herr Bürgermeister empfängt Sie gleich.« Das Vorzimmer war groß und hell, auf dem Lesetisch für die Besucher lagen das Landwirtschaftliche Wochenblatt und eine Zeitschrift für Kommunalpolitik aus. Berndorf überlegte, ob er sich einen Aufsatz über die Praxis der Verdingungsordnung unter Berücksichtigung begrenzter Ausschreibung zumuten sollte. Dann ließ er es doch bleiben.
    Eine Tür öffnete sich, und ein Mann, der ihn über eine Lesebrille hinweg ins Auge nahm, kam auf ihn zu und gab ihm die Hand. Er hatte einen soliden, kräftigen Händedruck. Zu einem karierten Anzug trug er ein blaues Hemd und

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