Schwemmholz
zeichneten sich nachtblau vor der Dämmerung ab. Sein Wagen trieb mit in der Lichterkette des abendlichen Verkehrsstroms. Er hatte es nicht eilig. Sein Büro lockte ihn nicht, und auch nicht seine leere Wohnung.
Es war einer der Nachmittage, an denen Tamar ihren Beruf verwünschte. Polizisten dürfen nicht parteiisch sein. Manchmal war das nicht einfach. Besonders nicht in diesem Fall, den
Tamar jetzt an die Staatsanwaltschaft abgeben sollte. Ein Mädchen war seit seinem zwölften Lebensjahr von seinem Vater missbraucht worden. Wenn es nicht gefügig war, schlug er es. Eines Abends, die junge Frau war schon 19, legte sie sich ein Tranchiermesser in der Anrichte bereit und wartete. Sie wartete, bis der Vater seine sechs Bier getrunken hatte und ins Bett schlurfte. Dann hielt sie ihm mit der linken Hand die Wohnzimmertür auf und rammte ihm, als er an ihr vorbeischwankte, mit der rechten das Messer in den Rücken.
Der Vater war fast auf der Stelle tot. Gute Arbeit, dachte Tamar. Nur hatte das Mädchen jetzt ein Problem mit den Juristen. Es hatte sich den Rausch des Alten zunutze gemacht. Juristen nennen das: die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnützen. Und das wiederum reicht aus, um aus einem Totschlag einen Mord zu machen. Tamar hatte sich alle Mühe gegeben, der jungen Frau eine gefälligere Version in den Mund zu legen. Aber die hatte darauf bestanden, dass alles genau so ins Protokoll geschrieben werden müsse, wie es gewesen war: »Ich hab mir die ganze Zeit gesagt, sein Bier soll er noch haben.«
Das Telefon summte und schreckte die Kommissarin aus ihrem Brüten hoch. Polaczek meldete sich, der Schichtführer des Innenstadt-Reviers, das im Erdgeschoss untergebracht war.
»Kollegin, könnten Sie uns kurz behilflich sein?«, fragte er. »Wir haben hier eine Frau Thalmann. Sie hat keine Papiere bei sich, aber sie sagt, Sie könnten sie identifizieren.«
Tamar runzelte die Stirn. Was hatte die Wache mit Hannah zu tun? Sie schlüpfte in ihre Jacke und sprang in langen Sätzen die Steintreppe ins Erdgeschoss hinunter. Schon auf dem Treppenabsatz hörte sie Gezeter.
Sie stieß die Tür zum Wachraum auf. Polizeihauptmeister Polaczek, ein hoch aufgeschossener blonder Mensch, hielt sich erschrocken an seinem Schreibtisch fest. Vor ihm stand eine alte Frau mit wirren grauen Haaren, die einen langen knochendürren Zeigefinger anklagend auf zwei Männer richtete. Die Männer hockten auf der Bank gegenüber dem Schreibtisch
und versuchten so zu tun, als ginge sie das alles nichts an, was die Grauhaarige an Vorwürfen herausschleuderte. Der eine der beiden war bis zum Halsansatz tätowiert, der andere trug einen Turbanverband auf dem Kopf. Ein dritter Mann stand hilflos neben der Grauhaarigen.
Mit gekreuzten Armen lehnte eine junge, dunkel gekleidete Frau an der Wand. Ihre Augen, die ungleich groß schienen, leuchteten spöttisch in einem blassen schmalen Gesicht. Sie wechselte einen kurzen intensiven Blick mit Tamar.
»Den Lärm, Herr Wachtmeister, Sie glauben nicht, was für einen infernalischen Lärm diese Leute machen, mit Absicht machen sie es, kein Auge habe ich in der letzten Nacht mehr zugemacht, sie wollen uns aus der Wohnung haben, nur darum hat der Herr Welf sie ins Haus gesetzt . . .«
Als er Tamar sah, raffte sich Polaczek auf. »Gut, dass Sie kommen«, sagte er. »Es hat da eine Auseinandersetzung gegeben, mit gegenseitigen Strafanzeigen, ich seh da nicht so recht durch. Aber wir brauchen die Personalien, und die Dame hier hat keine Papiere dabei.« Er wies auf Hannah. »Sie hat gesagt, dass Sie sie kennen.«
»Das ist richtig so«, antwortete Tamar. »Der Name ist Hannah Thalmann.« Sie nannte die Adresse. »Sie können es nachprüfen«, fügte sie hinzu. »Wir sind beide dort gemeldet.« Polaczek runzelte etwas ratlos die Stirn.
»Frau Thalmann ist meine Lebensgefährtin«, sagte Tamar und blickte Polaczek nachdrücklich in die Augen.
»Äh«, antwortete Polaczek. »Sehr wohl. Ich glaube, dass das fürs Erste genügt.«
Die Grauhaarige drängte sich wieder vor. »Ich habe es Ihnen doch gesagt! Es ist die kleine Hannah, die Tochter vom Patenkind der alten Frau Siefert, sie hat nicht gewusst, dass die Siefert ins Altenheim gegangen ist, dabei ist es kein Wunder, der Welf schikaniert uns alle heraus . . .«
Polizeihauptwachtmeister Alfred Krauser warf einen prüfenden Blick über das Balkonzimmer seiner Neubauwohnung.
Der Esstisch war für zwei Personen gedeckt, zwei Kerzenleuchter in
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