Schwemmholz
stehen. Berndorf und Krummholtz schüttelten sich die Hände. Dann ging Berndorf auf die beiden Männer zu. Rodek war einen halben Kopf größer als er, und auch nach den Monaten in der Untersuchungshaft sah er noch immer fit und durchtrainiert aus.
»Falls Sie sich entschuldigen wollen«, sagte Rodek, »dann ist das zwecklos. Sie werden bezahlen.« Veihle grinste beifällig.
»Wie Sie meinen«, antwortete Berndorf. »Aber ich bin wegen etwas anderem gekommen. Ich muss Sie beide davon in Kenntnis setzen, dass ein Mann in Ulm aufgetaucht sein soll, der der kalabresischen Mafia angehört. Dieser Mann gilt als gefährlich.« Er machte eine Pause.
»Was hat das mit uns zu tun?«, wollte Rodek wissen.
»Der Mann gilt als gefährlich«, wiederholte Berndorf. »Vielleicht sollte ich sagen: Er ist ein Killer. Es ist nicht auszuschließen, dass er sich während Ihrer Verhandlung im Schwurgerichtssaal aufgehalten hat. Sie werden besser wissen als ich, warum er sich für Sie interessiert. Verständigen Sie uns, wenn Sie sich beobachtet fühlen.« Er tippte kurz an seinen Hut. »Schönen Tag auch.« Dann wandte er sich zum Gehen. »So also ist das«, hörte er Rodek in seinem Rücken. »Die Mafia sitzt im Gerichtssaal, und die Polizei dreht Däumchen. Hauptsache, den Spaghettis wird kein Haar gekrümmt.«
Berndorf ging über den Frauengraben zurück und durchquerte das Justizgebäude. Als er aus dem Gerichtsportal hinaustrat, trieb ihm eine Windböe den Nieselregen ins Gesicht. Er schlug den Mantelkragen hoch.
Ein unauffälliger jüngerer Mann in einem Lodencape trat an ihm vorbei auf die Treppe und grüßte ihn. Berndorf grüßte zurück und überlegte sich, woher er den anderen kannte. Ein Rechtspfleger? Dann fiel es ihm ein. Es war der Protokollführer der Schwurgerichtskammer. Er hatte ihn bisher nur im Talar gesehen. Der Jüngere zog sich die Kapuze über das flachsfarbene Haar. Dann wandte er sich Berndorf zu.
»Ein Sauwetter ist das«, sagte Berndorf.
»Ja, allerdings«, antwortete der Mann in dem Lodencape. Er zögerte. Dann entschied er sich anders.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, trotzdem«, sagte er und ging die Treppe hinunter.
Misslaunig äugten die steinernen Löwen neben dem Gerichtsportal in das Aprilwetter. Noch immer waren die Lefzen des einen rot verschmiert. Seit dem Golfkrieg war das so. Diese Farbsprays hielten verdammt lange.
Mittwoch, 14. April, kurz nach 16 Uhr
Dröhnend zog der Zug wieder an und entließ eine Fahne Dieselruß in den grauen Himmel. Mit kleinen vorsichtigen Schritten wich der alte Mann den Pfützen auf dem gekiesten Bahnsteig aus. »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft«, stand grün auf der Seitenwand des eingeschossigen Bahnhofsgebäudes mit dem abblätternden Verputz. Und, rosafarben und krakelig: »Endstation Sehnsucht«. Über den Platz vor der Station trieb der Wind Papierfetzen vor sich her.
Außer Erwin Skrowonek war noch eine junge Frau ausgestiegen. Sie war dunkel gekleidet und sah sich um, als sei sie noch nie hier gewesen. Es werden immer weniger, die hierher kommen, dachte Skrowonek. Die Griffe der Plastikbeutel mit den Ravioli-Dosen und den zwei Flaschen Valpolicella schnitten ihm in die Hand. Beim Vorbeigehen warf er einen Blick auf den Bahnhofskiosk mit den heruntergelassenen Jalousien. In einem eingeschlagenen Glaskasten vergilbte eine Getränkekarte mit Preisen, wie es sie seit Jahren nicht mehr gab.
Er ging die Straße hinab, an dem Eckhaus mit der Gastwirtschaft vorbei. Früher hatten sie manchmal dort gegessen. Aber jetzt verkehrten junge Leute dort, manche mit blau oder grün gefärbten Haaren, und die Mädchen hatten sich Eisenringe durch den Nasenflügel gezogen, ganz unmöglich sei das, sagte seine Maria. Wie die Negerfrauen.
Im Block daneben schloss er die Haustüre auf. Durch das Treppenhaus vibrierte das Wummern der Stereoanlage, die die Leute vom zweiten Stock mitgebracht hatten. Vor drei Tagen waren sie in die Wohnung der Witwe Siefert eingezogen, die ins Altersheim gegangen war. Der alte Siefert lag schon lange auf dem Hauptfriedhof.
Die Sieferts waren noch ganz ordentliche Leute gewesen, dachte Skrowonek. Keine Türken und keine Russen, die erst gekommen waren, als es mit dem Viertel abwärts ging. Jetzt zogen hier Asylbewerber ein und andere Leute, die das Sozialamt
einwies. Oder der feine Herr Welf. Mühsam stieg der alte Mann die Treppe hoch und hielt schnaufend auf dem Treppenabsatz inne. Oben öffnete sich eine Tür, mit
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