Schwemmholz
eine gelbe Krawatte mit einem grünroten Wappenmuster, das eine stilisierte Waldrebe zeigte. Berndorf betrachtete es beunruhigt.
»Hübsch, nicht?«, sagte der Bürgermeister. »Das ist unser Gemeindewappen. Ein Geschenk des Gesangvereins.«
Das Amtszimmer war kaum weniger groß als das des Ulmer Oberbürgermeisters. Berndorf erklärte, dass er wegen des Anschlags auf den italienischen Bauarbeiter gekommen sei. Nach dem Freispruch müsse neu ermittelt werden.
»In welche Richtung?«
»Vielleicht ging es gar nicht um den Arbeiter, sondern um die Firma. Wieso baut eigentlich eine italienische Baufirma für eine schwäbische Feuerwehr?«
»Es handelt sich um ein Feuerwehrgerätehaus«, antwortete der Bürgermeister. »Neuester Stand der Technik. Der Bauherr war natürlich die Gemeinde. Wir haben dafür sogar Zuschüsse aus Brüssel bekommen.« Er machte eine Pause, als wartete er auf Applaus oder ein beifälliges Murmeln. »Selbstverständlich müssen solche Projekte dann auch in der ganzen Europäischen Union ausgeschrieben werden. Und das Angebot der Edim SA, Mailand, ist das günstigste gewesen. Vermutlich, weil sie auf den deutschen Markt wollen.«
»Und das hat keine Probleme im Gemeinderat gegeben?«
»Wir sind ein sehr aufgeschlossenes Gremium«, antwortete der Bürgermeister würdig. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, ist das natürlich nicht so einfach gewesen.« Plötzlich feixte er. »Einer der Herren Kollegen hat sogar gemeint, es dürfe unserer Feuerwehr nicht so gehen wie dem Schumacher mit seinem Ferrari. Dass sie in Runde eins liegen bleibt.«
»Und was sagt man als Schultes zu so etwas?«
»Nicht viel«, sagte der Bürgermeister und machte einen spitzen Mund. »Ich hab den Kollegen nur gefragt, ob er das auch seinen Wählern erzählt, die beim Magirus arbeiten.« Berndorf nickte. Magirus, noch immer der größte Arbeitgeber der Ulmer Region, gehört zu einem italienischen Konzern.
»Hat es eigentlich örtliche Mitbewerber gegeben?«
»Sicher. Gföllner zum Beispiel. Sehr renommiertes Ulmer Unternehmen. Aber das brauch ich Ihnen ja nicht zu sagen.« Er zögerte und warf unter seinen buschigen Augenbrauen einen prüfenden Blick auf Berndorf. »Ich glaube, der Herr Gföllner hat uns die Entscheidung ziemlich übel genommen. Er ist so etwas nicht gewohnt.«
»Versteh ich Sie recht«, fragte Berndorf, »in Ulm wäre sein Angebot nicht unter den Tisch gefallen?«
»Lassen Sie es mich so sagen«, antwortete der Bürgermeister, »die Ulmer haben einen mächtig großen Kirchturm. Sie sind etwas Besonderes im Land. Wie soll es ihnen da jemand recht machen können, der kein Ulmer ist?«
Wo er Recht hat, hat er Recht, dachte Berndorf, als er über den Zubringer auf die Autobahn einbog. Über Rodek hatte der Bürgermeister nur gewusst, dass dieser vor kurzem zugezogen war. »Und den Axel Veihle – ach Gott, ich will das ja nicht verharmlosen. Aber er ist einfach ein dummer Mensch. Hier in der Gemeinde hat ihn niemand für voll genommen.«
Schon jetzt sah es auf der Autobahn aus, als würden sich die ersten Feierabendstaus aufbauen. Die Lastwagen, die den Erdaushub vom Ausbau des Stuttgarter Flughafens auf die Ulmer Erd- und Bauschuttdeponie Lettenbühl brachten, scherten
auf der Rückfahrt mit leerer Ladefläche ungerührt auf die Überholspur, sodass sich auf beiden Fahrspuren dichte Kolonnen bildeten. Auf der Alb zog Nebel hoch, das Unterland verschwand im Dunst. Berndorf nahm die Ausfahrt Flughafen und stellte seinen Wagen im Parkhaus in Stuttgart-Degerloch ab. Dort stieg er in die U-Bahn zum Stadtzentrum.
Die Edim SA hatte ihr Büro im Stuttgarter Westen. Auf dem Weg dorthin kam er am Feuersee und an der Kirche vorbei, die in ihn hineingebaut ist. Für einen Augenblick hielt er inne und sah den Schwänen zu und versuchte, sich an den Kakao-Geruch zu erinnern, der früher zu bestimmten Zeiten von einer nahen Schokoladenfabrik geweht war.
Die Edim SA residierte im dritten Stock eines unauffälligen Baus gegenüber der Kirche. Ein altmodischer enger Fahrstuhl brachte ihn nach oben, wo er in helle und großzügige Büroräume gelangte. Zwischen Designermöbeln residierte eine kühlelegante Blondine mit bemerkenswert spitzem Busen. Als Berndorf seinen Namen nannte, drückte sie sofort auf eine Sprechanlage und meldete ihn an. Aus einem Nebenzimmer kam ein schlanker grauhaariger Mann und bat Berndorf zu sich. Er hieß Carlo Lettner. Vor allem aber war er nicht der Mann im Kamelhaarmantel.
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