Schwemmholz
Natürlich nicht.
Dann erklärte Berndorf, warum er gekommen war.
»Wir haben von dem Freispruch gehört«, sagte Lettner zurückhaltend. Sein Deutsch war nahezu akzentfrei. »Die Entscheidungen der Gerichte sind manchmal etwas unberechenbar, das ist bei Ihnen nicht anders als bei uns. Mir tut es Leid um den Herrn Casaroli. Ich glaube, er kann das alles nicht verstehen.« Berndorf schwieg. Was sollte er auch sagen, überlegte er, dass er selbst den Fall vergeigt hatte? Weil er zu schlampig ermittelt und zu patzig vor Gericht geantwortet hatte?
»Ich hätte gerne gewusst, ob es in Wiesbrunn Drohungen gegen Ihre Firma gegeben hat«, sagte er schließlich.
Lettner zögerte. »Drohungen? Nein. Nichts, was ich belegen könnte. Aber merkwürdig ist es schon. Jahrhundertelang sind italienische Architekten und Bauleute nach Deutschland
geholt worden. Heute, wo es selbstverständliches europäisches Recht ist, dass ein Dachdecker aus Sizilien sich um die Eindeckung des Rathauses von Kopenhagen bewerben darf – ausgerechnet heute verstehen manche Ihrer Landsleute die Europäische Union als Einbahnstraße. Die Autos baut Deutschland, Italien liefert die Pizza und die Stöckelschuhe für die Damen.« Lettner lächelte. »Man wird sich in Deutschland an eine neue Offenheit gewöhnen müssen.«
Das mochte alles so sein, dachte Berndorf. »Es hat also keine Drohungen gegeben, die Sie belegen können. Was gab es sonst? Andeutungen? Pannen? Zwischenfälle, bei denen jemand nachgeholfen haben könnte?«
Lettner beugte sich über seine Sprechanlage und gab eine kurze Anweisung auf Italienisch. »Unsere Baustellen sind gut gesichert«, sagte er dann. »Aber ein paar Seltsamkeiten hat es in Wiesbrunn schon gegeben.« Die Blondine kam herein und brachte einen Aktenordner. Berndorf konnte nicht anders und verfolgte gebannt das sanfte Wippen ihrer Brüste.
Lettner schlug den Ordner auf. »Baubeginn war am 15. Juni 1998. Keine besonderen Vorkommnisse. 18. Juni: Zerstochene Reifen an einem Baustellenfahrzeug. Na ja. 22. Juni, ein Montag: Die Absperrung ist während des Wochenendes mit einer Drahtschere oder einem Bolzenschneider aufgeschnitten worden, Unbekannte hatten versucht, einen Radlader kurzzuschließen. Vermutlich in der Nacht zum Samstag davor.« Lettner zuckte die Schultern und sah den Ordner weiter durch.
»Ach ja«, sagte er dann. »24. Juni: Transport mit Erdaushub an der Deponie zurückgewiesen. Angeblich keine Berechtigung. Nach Beschwerde beim Tiefbauamt der Stadt Ulm Zusage, dass die Anlieferungen angenommen würden. 30. Juni: Erneut Transport abgewiesen, Material angeblich kontaminiert. . . 6. Juli: Durchsuchung durch den Wirtschaftskontrolldienst. Überprüft wird, ob Arbeiter ohne Erlaubnis beschäftigt sind.« Lettner sah auf: »Übrigens waren alle Papiere in Ordnung. Das hat die Beamten nicht gehindert, im Juli und
September weitere Kontrollen vorzunehmen. Ich frage Sie nicht, ob deutsche Baustellen ebenso häufig und ebenso sorgfältig visitiert werden wie wir. Ganz gewiss ist das so.«
Er ließ den Ordner sinken. »Sie sind überhaupt sehr aufmerksam zu uns gewesen. Wiederholt hatten wir Besuch von Ihren Rauschgiftfahndern. Diese Beamten treten sehr energisch auf. So, wie wir es in Italien gut in Erinnerung haben.« Er lächelte nicht mehr. »Nur, als unser Wohncontainer angesteckt wurde, da waren Ihre Beamten leider nicht zur Stelle.«
Berndorf sah ihn ruhig an. Statt einer Antwort zog er die beiden Aufnahmen hervor, die das Landeskriminalamt geschickt hatte. »Kennen Sie diesen Mann?«
Lettner betrachtete die Fotos. Dann wurde sein Gesicht ausdruckslos. »Das sind Polizeifotos, nicht wahr?«
Statt einer Antwort wiederholte Berndorf seine Frage: »Kennen Sie ihn?«
»Nein«, antwortete Lettner. »Das Gesicht sagt mir nichts.«
»Bei dem Mann soll es sich um einen Salvatore Bertoni handeln«, erklärte Berndorf. »Sagt Ihnen auch der Name nichts?«
»Nein«, wiederholte Lettner, plötzlich sehr vorsichtig und kühl wirkend. »Der Name ist mir nicht bekannt. In welche Richtung ermitteln Sie eigentlich, Commissario?«
Das Gefühl, sich wie ein brunzdummer Bulle aufgeführt zu haben, verließ Berndorf erst, als er wieder auf der Autobahn war. Er glaubte zwar nicht daran, dass der Killer Bertoni – wenn es ihn denn überhaupt gab – von der Edim SA bestellt worden war. Sollte es aber doch so gewesen sein, dachte er, dann wissen sie jetzt wenigstens, dass wir es wissen.
Die Tafelberge der Alb
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