Schwemmholz
Pause. »Dieser Leichenfund, also das ist ja wie diese Geschichte an der . . .«
»Wie diese Geschichte an der Blackfriars Bridge in London?« , fragte Berndorf hilfreich zurück. An der Brücke der Schwarzen Brüder hatte man vor Jahren einen Menschen erhängt gefunden, der einmal als der Bankier des Vatikans gegolten hatte. »Das mein’ ich ja«, fuhr Englin ärgerlich fort. »Also das trägt doch die Handschrift der Mafia, glasklar.«
»Wir hatten gestern über den Brandanschlag in Wiesbrunn gesprochen«, antwortete Berndorf. »Nur darüber. Es ist unverändert meine Meinung, dass dort keine Italiener als Täter oder Auftraggeber beteiligt waren. Auch bei dem Todesfall Veihle habe ich Zweifel. Das sieht so demonstrativ nach einem Racheakt aus, dass es genau das nicht sein wird.«
»Sie liegen falsch«, sagte Blocher. »Beidesmal. Das war in Wiesbrunn die Mafia, und den toten Glatzkopf hat sie auch umgebracht, damit es aussieht, als sei er der Brandstifter gewesen.« Berndorf verzog keine Miene. »Das ergibt nun leider überhaupt keinen Sinn. Wenn die Mafia für den Anschlag auf die Unterkunft verantwortlich gewesen wäre, dann hätte sie auch gewollt, dass man das weiß. Es wäre eine Demonstration ihrer Macht gewesen. Sie hätte das nicht vertuscht.«
Tautka räusperte sich. »Das ist uns ein bisschen zu fein gesponnen, Kollege. Fakt ist, Sie haben diesen jungen Mann auf die Anklagebank gebracht, er wurde freigesprochen, und trotz warnender Hinweise auf einen Mafia-Killer ist er jetzt tot.« Tautkas raschelnde Stimme wurde leise, fast unhörbar. »Man könnte sagen, Kollege, diesen jungen Mann haben Sie auf dem Gewissen. Gelinde gesagt.«
Berndorfs Gesicht versteinerte. »Sie wissen nicht, wer diesen Mann getötet hat. Sie wissen nicht, wie und warum dies geschehen ist. Aber Sie wissen, dass ich dafür verantwortlich bin.« Er versuchte, Tautka in die Augen zu sehen. Doch das eine starrte unbeeindruckt zurück, und das andere bewachte die Tür. »Offenbar fühlen Sie sich von meinen Ermittlungen nach den Auftraggebern dieser Verbrechen irritiert. Ich beginne mich zu fragen, warum das so ist.«
Ein sanfter Rosenfarbenton ergoss sich über Tautkas bleiches Gesicht.
»Unglaublich«, schnaufte Blocher auf.
»Kollege Berndorf, ich untersage Ihnen diesen Ton«, schnappte Englin.
»Ihr Ordnungsruf kommt ein bisschen spät, finden Sie nicht?«, gab Berndorf zurück.
»Könnten wir jetzt bitte über die Fahndung sprechen?« Unerwartet schaltete sich Markert ein. »Ich würde gerne wissen, wie viel Mann ich dazu abstellen muss.«
Dafür kriegst du einen doppelten Schnaps, dachte Berndorf. Und wenn ich ihn selber brennen muss.
Langsam fuhr Tamar durch die Hauptstraße von Wiesbrunn, wütend und um einen Hunderter ärmer. In einer absolut unprofessionellen Aufwallung von Mitleid oder sonst was hatte sie den Schein Veihles heulender Hinterbliebenen zugesteckt. Der Verblichene hatte nämlich in der Zeit zwischen seiner Freilassung und seinem Hinscheiden rasch noch das gemeinsame Konto bis zur Kreditlinie abgeräumt.
Schließlich fand sie am Ortsende das Haus, unter dessen
Adresse Rodek zuletzt gemeldet gewesen war. Es war ein von der Straße zurückgesetztes, lang gestrecktes Gebäude, wie sie in den späten vierziger Jahren eilig hochgezogen worden waren, als man die Flüchtlinge unterbringen musste.
An der Hausecke hämmerte ein Mann in einem Overall an einer rostigen Regenrinne. Am Klingelbrett waren acht Namensschilder angebracht, auf einem davon war in linksgeneigter Kugelschreiberschrift S. Rodek gekritzelt. Sie drückte auf die Klingel, die zu dem Namen gehörte. Während sie wartete, sah sie sich die anderen Namensschilder an. Auf einem davon stand in gestanzten Druckbuchstaben W. Hugler. Auch nach dem dritten Läuten rührte sich nichts.
Der Mann im Overall ließ das Hämmern sein und näherte sich. Er war unrasiert und äugte sie aus rot geädertem Säufergesicht an. Sie suche den Herrn Rodek, Stefan Rodek, sagte Tamar rasch, ehe der Mann so nahe kam, dass sie seinen Atem hätte riechen müssen.
Der Mann schüttelte leicht den Kopf. Was sie denn vom Stefan wolle, fragte er und bleckte ein kariöses Gebiss. Tamar hielt ihm ihren Polizeiausweis vors Gesicht.
»Ja so«, sagte der Mann, »ihr schon wieder! Aber da habt ihr Pech gehabt. Er ist gestern weggefahren. Er will in Stuttgart Arbeit suchen.«
»Das Namensschild ist aber noch da.«
»Das Zimmer behält er. Er hat es ja auch behalten, als
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