Schwemmholz
dass Veihle nicht vor dem Justizgebäude umgebracht worden ist«, fügte er hinzu. »Das hat sich jetzt bestätigt. Der Mann von der Wach-und Schließgesellschaft hat Veihle erst auf seiner zweiten Runde gefunden, kurz nach drei Uhr morgens. Bei seinem ersten Rundgang, um halb zwei, lag die Leiche noch nicht auf der Treppe. Veihle war aber zu diesem Zeitpunkt bereits tot.«
»Schon klar, Chef«, sagte Tamar. Es klang etwas ungeduldig.
»Da ist noch etwas«, fuhr Berndorf fort. »Die Schlägerei, in die er geraten ist, hat einige Zeit vorher stattgefunden, gegen Mitternacht vermutlich. Außerdem war er schwer betrunken. Ich denke, dass er sich in einer Kneipe hat voll laufen lassen, bis man ihm dort eine Abreibung verpasst und hinausgeworfen hat. Er ist also gegen Mitternacht oder kurz danach in der Stadt unterwegs gewesen – ein betrunkener, blutverschmierter Skinhead, selbst um diese Zeit eine auffällige Erscheinung.«
»Mhm«, machte Tamar.
»Ich glaube zwar nicht, dass ein Taxifahrer so jemanden einsteigen lässt. Veihle kann es trotzdem versucht haben. Jedenfalls würde sich der Fahrer erinnern. Er könnte natürlich auch mit einem der letzten Busse gefahren sein.«
»Bingo«, sagte Tamar. »Es war der Bus ab Hauptbahnhof 23.58, an Wiesbrunn 0.27 Uhr. Zum Hauptbahnhof war Veihle mit der Straßenbahn gefahren, und zwar ist er am Westplatz eingestiegen. Im Umkreis dort gibt es drei oder vier Lokale, die in Frage kommen. Die Kollegen vom Revier West sind schon unterwegs. Eigentlich sollten wir in einer halben Stunde wissen, in welcher Kneipe er gewesen ist. Außerdem würde ich gerne die Hundeführer bitten, die Strecke zwischen der Bushaltestelle in Wiesbrunn und Veihles Wohnung abzusuchen. Vielleicht finden wir so die Stelle, wo er umgebracht wurde. Sind Sie noch da, Chef?«
»Yeah, Miss Marple«, antwortete Berndorf. »Machen Sie das. Aber wie haben Sie das alles herausgefunden?«
»Ich hab bei den Verkehrsbetrieben angerufen und mir die Telefonnummern der Fahrer geben lassen, die gestern Spätschicht hatten«, sagte Tamar. »Der Busfahrer auf der Strecke nach Wiesbrunn hat sich sofort erinnert. Er hatte den Mann zunächst nicht einsteigen lassen wollen, weil der wirklich schlimm ausgesehen habe, mit dem ganzen Blut im Gesicht. Aber Veihle hatte einen gültigen Umsteigefahrschein, und zwar vom Automaten am Westplatz. Und er ist dann auch ganz friedlich bis Wiesbrunn sitzen geblieben und dort in der Ortsmitte ausgestiegen.«
Tamar unterbrach sich, als wartete sie auf eine Reaktion. Berndorf schwieg, und sie sprach weiter.
»Ich habe dann auch noch den Straßenbahnfahrer erreicht, und der hat mir die Geschichte bestätigt. Veihle ist ihm am Westplatz in die Tram gestolpert. Der Mann sei so fertig gewesen, sagt der Fahrer, dass er dachte, der stellt nichts mehr an.«
Berndorf rang sich ein anerkennendes Brummen ab.
»Da ist noch etwas.« Tamar war nicht aufzuhalten. »Veihle hat vor seinem Tod noch das gemeinsame Konto abgeräumt, das er mit seiner Verlobten gehabt hat. Es waren aber nur noch drei- oder vierhundert Mark drauf. Ich frage mich, wer ihm die zweimal zwei hässlichen Männer gegeben hat. Und wann.«
»Auch das werden Sie noch herausfinden«, meinte Berndorf ergeben und legte auf. »Die braucht mich nicht mehr«, sagte er zu seinem Gegenüber.
»Seien Sie doch froh«, antwortete Kovacz.
Auf seinem Weg zurück in den Neuen Bau kehrte Berndorf in einem türkischen Schnellimbiss ein und bestellte einen Döner. Tamar hatte also die letzten Stationen von Veihles Lebensweg herausgefunden. Die vorletzte fehlte noch. Noch kannten sie den Mann nicht, der sich aus dem Dunkel an Veihle herangemacht hatte. Vielleicht würden sie ihn erst finden, wenn sie
Klarheit über seinen Auftraggeber bekämen. Der Mörder war gar nicht so wichtig. Er war nur ein Handlanger.
Auch Veihle war nichts anderes gewesen, sagte er sich und betrachtete im Wandspiegel missvergnügt einen älteren angegrauten Mann, der sich über einen Döner mit Yoghurt-Sauce hermachte. Unterm Kauen stieg Unmut in ihm hoch. Dass Veihle eine Marionette gewesen sei – war das nicht eine verdächtig bequeme Ausrede? Hatte Tautkas krötengiftiger Vorwurf, er – Berndorf – sei schuld an Veihles viehischem Tod, womöglich einen wahren Kern?
Er ermahnte sich. Finde heraus, was gewesen ist. Für Selbstvorwürfe hast du danach jede Zeit der Welt. Wenn das dann noch wichtig ist. Aufmunternd nickte er dem Mann im Spiegel zu. Der nickte
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