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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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zurück. Aber es sah nicht sehr überzeugend aus. Berndorf zahlte und ging. Er überquerte die Frauenstraße und ging durch die Hafengasse in das Viertel nördlich des Münsters. Vor den Cafés in der Fußgängerzone sonnten sich die Gäste, die zum ersten Male in diesem Jahr draußen sitzen konnten. Aus schierer Gewohnheit blickte Berndorf nach den jungen Frauen. Mit der Frühjahrskollektion waren hübsche Vorhänge hereingekommen. Aber es wurde nicht gespielt. Es war nach ein Uhr mittags, und in der kleinen Trattoria waren die meisten Gäste bereits wieder gegangen. Er ignorierte die Einladung des Wirts, sich an einen Tisch zu setzen, blieb am Tresen stehen und bestellte einen Espresso.
    Der Wirt nickte mit gemessener Höflichkeit und ließ die Espressomaschine arbeiten. Dann blickte er Berndorf an. »Ein so schönes Wetter«, sagte er, »und ein so hässlicher Tag.«
    Er stellte die kleine Espressotasse vor Berndorf. »Wenn es wahr ist, was man mir erzählt hat.«
    »Was ist Wahrheit?«, fragte Berndorf. »Vielleicht zählt nur, was die Leute glauben. Und das ist vielleicht noch hässlicher.«
    »Sie haben mir von Ihrem Freund erzählt«, sagte der Wirt bedächtig. »Es war heute jemand da, und der kennt jemanden, der Ihren Freund kennt. Er sagt, Ihr Freund ist fortgefahren. Gestern früh schon.«

    Für einen kurzen Moment sahen sich die beiden Männer in die Augen. Berndorf trank aus und zahlte.
    Die Ehrenwerte Gesellschaft will also mit dem Mord an Veihle nichts zu tun haben, dachte er, als er am Münster vorbei zum Neuen Bau ging. Berndorf hatte auch nichts anderes angenommen. Nur – wenn es einem die Mafia ausdrücklich ausrichten lässt, dann kann man es glauben oder auch nicht.
     
    Durch die hohen Jugendstilfenster der Pauluskirche fiel buntes Licht auf die mit weißem Papier gedeckten Tische vor dem Chorraum. Die Kaffeemaschinen waren angeschlossen, ebenso die beiden Kühlschränke und auch die kleinen Elektroherde für die Nudel- und die Erbsensuppe. Selbstverständlich würde es kein Einweggeschirr geben, und so hatten sich die Mädchen der Jugendgruppe zum Spülen eingeteilt. Der Dritte-Welt-Laden würde Darjeeling aus Plantagen ohne Kinderarbeit anbieten, und der Friseurmeister, der seinen Salon am Michelsberg schon vor Jahren geschlossen hatte, wollte kostenlos die Haare schneiden, wer immer dessen bedürftig war.
    Der Vorsitzende des Kirchengemeinderats, Vogler, hatte die Plakatwände aufgestellt, auf denen der Ökumenische Arbeitskreis für eine gerechte Stadt die Zahlen aus dem jüngsten Armutsbericht aufbereitet hatte. Zu seiner Überraschung hatte Vogler bei der Montage der Plakatwände Helfer gefunden, zwei anstellige Männer aus dem Übernachtungsheim, mit denen er jetzt in der Ecke auf umgekippten Sprudelkästen saß und ein Bier trank. Nur eines? Es konnten auch mehr werden. Vogler hatte mit seinen beiden Helfern rasch noch ein paar Kästen aus der Brauerei geholt. Wenn der Kirchenvorsteher Vogler bat, gaben die Leute gerne.
    Johannes Rübsam sah sich um und war zufrieden. Er war ein praktischer Mensch und neigte nicht zu Illusionen. Vor allem hatte er eine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn jede siebte Familie kein sicheres Einkommen mehr hat. Mit Nudelsuppe und ein paar erbettelten Kästen Bier half man der Armut nicht ab. Aber das hätte man damals von den fünf Broten
und den zwei Fischen auch sagen können. Und vielleicht brachte die Vesperkirche den einen oder anderen dazu, die Not im Haus nebenan wahrzunehmen.
     
    Auf dem Weg in sein Büro schaute Berndorf bei Tamar vorbei. Der Kunde, der vor ihrem Schreibtisch hockte, hatte schütteres, nach hinten gekämmtes Haar und die flattrigen Hände des harten Säufers, der seinen Normalpegel noch nicht erreicht hat. Tamar winkte ihn herein. »Wir haben hier den Herrn Koblach, den Wirt aus dem ›Deutschen Kaiser‹, passender Name finde ich, hat auch schon bessere Zeiten erlebt«, sagte sie und wies mit der Hand auf ihren Besucher. Der blickte gequält zu Berndorf hoch und nickte. Berndorf grüßte zurück. Der Wirt war nicht zum ersten Mal im Neuen Bau.
    »Der Herr Koblach hat Veihle identifiziert«, fuhr Tamar fort. »Nach einigem Zögern. Aber immerhin.« Koblach nickte verlegen. »Veihle war bei ihm. Hat mit drei anderen Männern Karten gespielt. Der Wirt meint, es sei Skat gewesen. Oder eine Art 66. So genau hat er nicht hingesehen, als Wirt hat man anderes zu tun, nicht wahr?«
    »Also wenn es Skat war«, sagte Koblach mit

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