Schwemmholz
meine Pläne aus der Hand geben müsste«, sagte er langsam. Er sah hoch und blickte in Pfeiffles Augen. Sie beobachteten ihn aufmerksam und reglos.
»Ich glaube nicht, dass ich das will«, fuhr Welf fort, den Blick schon wieder gesenkt. »Schließlich muss ich es auch nicht. Mein Angebot liegt auf dem Tisch. Ich bewerbe mich als Generalunternehmer, ich plane und baue die Halle – sofern die Stadt das will. Wenn sie es nicht will – na gut, dann pack ich meine Pläne eben wieder ein.«
Pfeiffle wiegte bedächtig den Kopf. »Wisset Sie, Herr Welf«, sagte er und lächelte ihn zutraulich an, »ich glaub, dass Sie sich das gar net leisten können.«
Freitag, 16. April
Es war gegen drei Uhr morgens, als Erwin Kubanczyk auf den kleinen Vorplatz vor dem Justizgebäude einbog. Er arbeitete beim Wach- und Schließdienst Donau. Es war sein zweiter Rundgang, die Nacht war ruhig und trocken gewesen. Eine auffrischende Brise fuhr durch die Kastanienbäume.
Er überprüfte den Seiteneingang des Justizgebäudes und ging dann zum Hauptportal. Die Gestalt lag auf dem Treppenabsatz vor dem Portal, den Kopf dem östlichen der beiden steinernen Löwen zugewandt. Ein Betrunkener, dachte Kubanczyk und stieg die Treppe hoch. Die Gestalt lag seltsam verkrampft auf dem Bauch. Kubanczyk tastete nach der Halsschlagader. Kein Puls. Kubanczyk holte sein Funksprechgerät heraus.
Die Sonne schien, und ein sanft fließender Strom ließ das Floß durch eine Landschaft mit Wäldern und grünen Wiesen treiben. Tamar wusste, dass Hannah neben ihr war. »Sieh doch«, wollte sie zu ihr sagen. Irgendwie brachte sie es nicht heraus. Eine kreischende Elster verdunkelte den Himmel.
»Nimm doch mal das Telefon ab«, murmelte Hannah neben ihr. Schlaftrunken tastete Tamar in der Dunkelheit nach dem Hörer. Unwirsch brachte sie ein »Wegenast« heraus.
»Tut mir Leid«, hörte sie Berndorfs Stimme. »Könnten Sie zum Justizgebäude kommen? Wir haben hier einen Toten.«
»Ich beeil mich.« Tamar legte auf, küsste Hannah auf den Mund, der nach Schlaf schmeckte, und schwang sich aus dem Bett. Hannah wollte wissen, ob das Münster eingefallen sei.
»Nein«, sagte Tamar, »aber vor dem Justizgebäude haben sie eine Leiche gefunden.«
»Sie wird gedacht haben, da ist sie richtig«, meinte Hannah. »Kommst du zum Frühstück?«
»Weiß nicht«, antwortete Tamar und nahm einen neuen Anlauf, um ihre Beine in die Jeans einzufädeln.
Im Licht der Scheinwerfer, die für den Polizeifotografen aufgestellt waren, sah der Tote fast friedlich aus. Als hätte er sich mit dem Blut abgefunden, das ihm aus Nase und der aufgeschlagenen Augenbraue gelaufen war. Das Blut war getrocknet, fast wie die Farbe an der Schnauze des steinernen Löwen über ihm. Tamar betrachtete den Kopf des Toten. Der Schädel war glatt rasiert gewesen, aber das Haar hatte nachzuwachsen begonnen. Sie blickte zu Berndorf.
»So hat es Veihle also doch erwischt«, stellte sie fest. »Sie hatten ihn gewarnt, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Berndorf. »Ich hatte ihn gewarnt.« Er klang resigniert. Vielleicht war er einfach müde. In der rechten Hand, über die er einen Plastikhandschuh gezogen hatte, hielt er einen bräunlichen Briefumschlag. Mit dem Daumen schob er das Umschlagblatt auf und zeigte ihr den Inhalt.
»Er hatte es dabei. Ausgeraubt hat man ihn also nicht. Ich frage mich . . .« Er ließ den Satz unvollendet. Auch so war klar, was er sagen wollte, dachte Tamar. Wie kommt ein eben entlassener Untersuchungsgefangener zu zwei Riesen? So schnell wird eine Haftentschädigung hierzulande nicht ausgezahlt.
Tamar sah zu der steinernen Justitia hoch, die über dem Portal ihre Waage in die Morgendämmerung hielt, die freie Hand schützend auf ein halb nacktes Waisenkind gelegt. Bei diesem Knaben da hast du dir ja nicht besonders viel Mühe gegeben, dachte Tamar. Oder eben doch? Der Anschlag auf den italienischen Bauarbeiter, der fragwürdige Freispruch Veihles, sein gewaltsamer Tod, die Leiche, die man ausgerechnet vor dem Standbild der Gerechtigkeit deponiert hatte: das alles hing zusammen, klebte aneinander wie der überbackene Käse auf einer Pizza Margherita.
»Und trotzdem glaube ich nicht, dass es die Ehrenwerten waren«, sagte Berndorf.
Tamar sah ihn schief an. »Wer hat ihn gefunden?«
»Ein Mann vom Wach- und Schließdienst.«
Ein kleiner dunkelhaariger Mann in einem weißen Kittel
trat auf den Kommissar zu. »Stranguliert«, sagte er. »Professionelle Arbeit. Ich
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