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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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zweimal das linke Auge zu.
    Tamar schüttelte den Kopf. »So nicht. Sie werden nie Kriminalrat.«
     
    »Wir suchen also einen Mann, der mindestens 1,85 Meter groß und athletisch ist und der eine Schusswunde hat«, berichtete Tamar. Sie war vom Krankenhaus in den Neuen Bau zurückgefahren, wo sie in ihrem Büro den Kollegen Kuttler antraf. Englin hatte ihn ihr als Unterstützung zugeteilt. Oder vielleicht eher doch als Aufpasser. Es war ihr egal. »Außerdem hat der Mann die Neigung, die Briefumschläge der Firma Gföllner zu hinterlassen, als wären es Visitenkarten.«
    »Vorausgesetzt«, wandte Kuttler ein, »er ist wirklich derselbe, der auch den Skinhead abgemurkst hat. Im Übrigen« – er griff in seine Jackentasche – »war ich heute Morgen auf der Baustelle, wo der Lastwagen geklaut worden ist.«
    Er holte die drei Briefumschläge heraus und legte sie aufgefächert auf Tamars Schreibtisch.
    »Ich hab sie mir von dem Polier geben lassen. Es war überhaupt nichts dabei. Wahrscheinlich kann man sie sich auf jeder Baustelle der Firma besorgen.«
    Tamar betrachtete ihn missvergnügt. Seinen Pickel hatte er sich selbst ausgedrückt. Und die Briefumschläge bedeuteten also nichts. Irgendwie weigerte sie sich, das einzusehen.

    »Ich hab noch was, worüber ich mit Ihnen reden wollte«, fuhr Kuttler fort. »Die Telefonüberwachung wegen dieses Mafioso  – oder ist Mafiosi der richtige Genitiv? – läuft noch immer weiter, und da haben wir wieder so ein merkwürdiges Protokoll bekommen. Und wieder ist es ein Telefonat mit dieser Pizzeria in der Schäfflergasse.« Er zeigte ihr die Abschrift. Einer der Sätze war rot angestrichen.
    Tamar las: »Das Wetter ist noch immer nicht gut bei euch. Mach ein Fragezeichen dazu. Es ist eine Frage.«
    »Das ist doch ein Code«, sagte Kuttler. »Eine chiffrierte Botschaft, finden Sie nicht auch? Bitte sagen Sie mir, dass es eine ist. Sonst kriegt Englin wieder diesen Blick. Dabei kann ich gar nichts dafür, ich versteh doch gar kein Italienisch.«
    Tamar schaute ihn nachdenklich an. »Sagen Sie – hat das vielleicht auch der Kollege Krauser übersetzt?«
    Kuttler blätterte das Protokoll durch, bis er die Unterschrift fand.
    »Stimmt. Woher wussten Sie?«
    Tamar lächelte knapp. »Ich hab es mir ausgerechnet.«
     
    Den Nachmittag hatte Berndorf in der Cafeteria verbracht, das geschiente und mit einer Metallplatte zusammengeschraubte linke Bein auf einem Stuhl abgelegt, was sich freilich nur eine begrenzte Zeit aushalten ließ. Dazwischen hatte er Humpelversuche auf seinen Krücken unternommen, um sich dann, wenn das Sitzen wieder erträglich schien, an sein Tischchen zurückzubegeben und Lichtenberg zu lesen.
    Oben im Zimmer empfing Vochezer. Den Auftakt hatte der Ortsvorsteher gemacht, danach war rotgesichtig der Vorstand der Feuerwehr erschienen, in Begleitung des Kommandanten, der zu diesem Behuf seine Uniform angelegt hatte.
    Vochezer war aus Gauggenried, und dort wusste man noch, was sich gehört. Auf der Landkarte der Kriminalstatistik war der Ort in den fünfziger Jahren noch mit einer überdurchschnittlichen Häufung von Kindstötungen verzeichnet gewesen. Seitdem auch die jungen katholischen Frauen die Pille
nahmen, war es damit vorbei. Manchmal kam es noch vor, dass ein Bauer seine Frau erschlug oder sich erhängte. Manche taten auch beides, erst das eine und dann das andere. Die Frauen wiederum benutzten kein Rattengift mehr, wenn sie ihren Alten loswerden wollten. Das Nötige fand sich meist in der Hausapotheke.
    Berndorf verwies sich seine Unterstellungen und wandte sich wieder Lichtenberg zu. Sein Auge blieb an einer der Notizen aus den »Vermischten Schriften« hängen:
    Die Augen eines Frauenzimmers sind bei mir ein so wesentliches Stück, ich sehe oft darnach, denke mir so vielerlei dabei, dass, wenn ich nur ein bloßer Kopf wäre, die Mädchen meinetwegen nichts als Augen sein könnten.
    Er legte den Band auf den Tisch und schloss die Augen. Ein ovales, blasses Gesicht, das Gebrüll der Megaphone und das Scheppern der Polizeilautsprecher, vorrückende Bereitschaftspolizisten, Tränengas-Schwaden ziehen über den Platz vor der Alten Universität, ein Polizist will zuschlagen und ein anderer reißt ihm den Arm zurück, ein Blick aus funkelnden grünen Augen . . . Und er erkannte sie. Das erste Lächeln, der erste Blick. Das Lächeln kann täuschen. Die Augen tun es nicht. Vielleicht ist das ein Relikt aus den ganz frühen Zeiten. Man musste an den Augen

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