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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sie. Es ist Hannahs Biographie.
    »Ich bin froh, dass du mich gefahren hast«, sagte Hannah in das Schweigen. »Ich würd’ jetzt nicht allein sein wollen.«
    Tamar atmete tief durch. »Magst du erzählen?«
    Dann brach es aus Hannah heraus. Das Verfahren gegen ihren Vater schleppte sich hin; die Justiz hatte wenig Lust, eine Hauptverhandlung vorzubereiten, in der unvermeidlich ein eigenes Fehlurteil zur Sprache kommen müsste. Ohnehin hatte man Wolfgang Thalmann sicher hinter Gittern, zweimal lebenslange Freiheitsstrafe hatte er ja schon.
    »Er wird erst entlassen werden, wenn er ein Greis ist. Oder todkrank. Also wird er auch nie mehr lernen, für etwas einzustehen. Für das, was er meiner Mutter angetan hat. Und den anderen, die er umgebracht hat.«
    »Und für das, was er dir angetan hat«, warf Tamar ein.
    »Davon reden wir jetzt nicht«, antwortete Hannah streng.

     
    »Er hockt da, in dem grauenvollen Sprechzimmer, mit einem Gesichtsausdruck, als ob er mir sagen wolle, da schau nur, was sie mir antun.« Sie unterbrach sich. »Erklär mir mal, warum es eigentlich in diesen Sprechzimmern so bestialisch nach kaltem Zigarettenrauch stinken muss.«
    »Unsere Gesellschaft sperrt fast ausschließlich Leute aus der Unterschicht ein«, sagte Tamar und ordnete sich auf die Auffahrtspur zur Autobahn ein. »Die Unterschicht raucht.«
     
    Der Mann in dem Versace-Anzug beugte sich über den Tresen der Rezeption. Er hatte schwarzes Haar und einen olivfarbenen Teint. In seinem Mundwinkel steckte eine dünne Zigarre, aus der ein feiner Rauchfaden aufstieg. »Varsalone«, sagte er, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen.
    »Sehr wohl«, sagte der Portier und suchte in seinem Computer nach der Voranmeldung. Reserviert war für Varsalone, Mario aus Bari, Italien.
    Der Portier reichte ihm den Anmeldezettel und den Zimmerschlüssel. Dann winkte er einem Pagen. Doch Varsalone winkte ab. Seine beiden Vuitton-Koffer trug er selbst.

Montag, 19, April
    Kuttler stieß die Tür des Bauwagens auf. Drei Arbeiter saßen um einen Tisch beim zweiten Frühstück. Einer von ihnen musste in der nahe gelegenen Metzgerei gewesen sein und warmen Leberkäs geholt haben. Dazu tranken sie Bier.
    »Guten Appetit auch allerseits«, sagte Kuttler. »Wer wär’ denn hier der Polier?« Ein magerer langer Mann sah zu ihm hoch.
    »Kriminalpolizei«, sagte Kuttler und zeigte seinen Ausweis. »Ich komme wegen dem Lastwagen, der bei Ihnen weggekommen ist.«
    Da seien aber schon Kollegen von ihm dagewesen, wandte der Polier ein.

    »Schon recht. Aber es haben sich neue Gesichtspunkte ergeben.« Die Männer beim Bier nickten beeindruckt.
    Kuttler registrierte es befriedigt. Er hatte immer die Angst, dass alles, was er sagte, blöd herauskam. Jedenfalls gab ihm Englin das Gefühl. Oder Englins Augenlid, was auf dasselbe hinauslief. Kuttler hatte Englin schließlich vorgeschlagen, er könne doch die Kollegin Wegenast unterstützen, nachdem Berndorf ausgefallen war. Das heißt, genau das hatte er eben nicht vorgeschlagen. Das wäre abgelehnt worden.
    »Herr Kriminalrat«, hatte er gesagt, »im Dezernat eins heißt es, sie bräuchten Unterstützung. Ich versteh das gar nicht, die Kollegin Wegenast tritt doch immer so auf, als ob ihr keiner das Wasser reichen könnte.« Das Augenlid hatte sofort zu zucken begonnen. »Also deshalb wäre mir das gar nicht recht, wenn ich dort aushelfen müsste.« Drei Stunden später war Kuttler ins Dezernat eins abgeordnet.
     
    »Ja dann«, meinte der Polier. Was der Herr Kommissar denn wissen wolle?
    »In den Bauwagen hier ist nicht eingebrochen worden? Vielleicht, dass der Täter die Fahrzeugschlüssel gesucht hat.«
    »Die hab ich bei mir gehabt«, antwortete der Polier. »Der Lump hat den Karren kurzgeschlossen.«
    Kuttler sah sich um. An der fensterlosen Wand des Bauwagens war ein Regal befestigt mit einer Schreibplatte. Auf der Schreibplatte lagen Pläne und ein Arbeitsbuch. In dem Regal waren Fächer mit Formularen und Notizblöcken. Und mit braunen Briefumschlägen. Kuttler deutete auf die Umschläge. »Könnten Sie mir zwei oder drei davon geben? Ich brauch’s für die Beweissicherung.«
    Der Polier sagte, er solle sich ruhig bedienen. Die Umschläge waren am oberen Rand leicht abgeblasst. »Sagen Sie – hat in letzter Zeit jemand um einen dieser Umschläge gebeten, so wie ich gerade? Oder einfach einen genommen?«
    »Nein«, sagte der Polier. »Das heißt, gebeten hat mich keiner.

    Und wenn da einer einen Umschlag

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