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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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braucht dein Kopf so notwendig wie dein Bein seine Schiene.«
    Berndorf sah sie an. »Du weißt, dass ich das nicht will. Ich käme mir lästig vor. Und du hast genug am Hals.«
    Barbara schwieg. Ich hätte es mir denken können. Um Gottes Willen nicht abhängig sein. Schade.
    »Schade«, wiederholte sie laut. »Aber du musst selbst wissen, was für dich richtig ist. Ich fliege dann heute Abend zurück.«
     
    Der Arzt hatte die Wunde gesäubert und versorgt. Es war ein Streifschuss gewesen, aber die Kugel hatte doch einiges von dem Muskelgewebe des Oberarms aufgerissen. Der Patient, groß gewachsen und stämmig, hatte während der Behandlung keinen Mucks gemacht. Ein merkwürdiger Bursche, und ein merkwürdiger Jagdunfall. Der Arzt betrieb eine kleine Allgemeinpraxis im vierten Stock eines Mietshauses in einem Augsburger Vorort, man hätte meinen können, Wunden zu versorgen sei nun wirklich nicht sein Geschäft. Aber da er sein Medizinstudium bei der Bundeswehr absolviert hatte und bis zu einer unangenehmen Geschichte mit der Tochter eines Kameraden Feldarzt gewesen war, musste er sich wohl oder übel darauf verstehen. Das heißt, so übel verstand er sich gar nicht dabei. Er liquidierte privat, und bei seinen besonderen Patienten  – wie eben dem Kerl, der ihn an diesem Sonntagvormittag herausgeklingelt hatte – brutto für netto.

    »Den Verband lassen Sie sich in drei Tagen erneuern«, sagte er, »wenn es Komplikationen gibt, kommen Sie früher. Halten Sie den Arm ruhig, aber versuchen Sie, ob Sie sich selber anziehen können.« Der Patient stand auf und nickte. Der Arzt ging an das Handwaschbecken und säuberte sich die Hände. »Ich will ja gar nicht wissen, was da passiert ist«, fuhr er in vertraulichem Ton fort und schrubbte seine Fingernägel, »aber das Kaliber würde mich schon interessieren. Irgendwie sieht mir die Wunde nicht nach einer Jagdwaffe aus. Was jagt man denn überhaupt um diese Zeit?«
    »Es war kein Jagdunfall«, sagte der Mann. »Es war meine Freundin. Sie ist mir auf eine Geschichte gekommen, mit einer anderen. Dumme Sache, es war auch nichts weiter. Aber sie ist ausgerastet und hat sich meinen Revolver gegriffen. Deswegen muss man keine Polizei holen, finde ich.«
    Na ja, dachte der Arzt. Ich frag mal lieber nicht, ob du einen Waffenschein hast. »Eine Frauengeschichte also, keine Jagdgeschichte«, sagte er. »Kein großer Unterschied.«
    Der Bursche guckte fragend.
    »Bei beiden trifft’s ab und an den Falschen. Und bei beiden fällt meistens für irgendjemanden ein Gehörn ab.« Der Arzt grinste säuerlich. Der Bursche hatte ihn schon wieder angelogen.
     
    Du hast eine nette Frau, hatte Vochezer gemeint. Das war, für die Verhältnisse eines oberschwäbischen Bauern, eine listige Gesprächseröffnung. Sohn und Schwiegertochter waren da gewesen, mit Kaffee in der Thermoskanne und selbst gebackenem Käsekuchen, der Sohn hatte sich als Geschäftsführer des Landmaschinenrings herausgestellt, und die Schwiegertochter war wieder mit dem Gesicht dagesessen, als sei sie an allem schuld. Inzwischen waren sie allein, und Eugen Vochezer erwartete, dass ihm nun das Nötige über Berndorfs Stand, Herkommen und Familienverhältnisse mitgeteilt würde.
    Sie ist nicht meine Frau, sagte Berndorf. Aber was war sie dann? Dass sie seine Lebensgefährtin sei, konnte er an einen
70-jährigen Bauern nun wirklich nicht hinreden. »Sie ist meine Freundin«, sagte er. »Es ist wegen des Berufs, dass wir nicht geheiratet haben. Sie hat ihren, und ich hab den meinen.« Vochezer dachte nach. Dann fiel ihm die Geschichte vom Pfarrer aus dem Nachbarort und der jungen Frau vom katholischen Kreisbildungswerk ein. Bei denen war es auch der Beruf gewesen, dass sie nie hatten heiraten können.
    Das alles sei aber eine halbe Sache, sagte er nach einer Weile. Er müsse es wissen, denn seit seine Frau tot sei, habe er keine rechte Freude mehr am Leben. Sie sei vor drei Jahren gestorben. Am Krebs. »Dabei hat sie sich so auf Enkele gefreut.«
    Aber das war wohl nichts, dachte Berndorf. Vielleicht sah die Schwiegertochter deshalb so bekümmert aus.
     
    Tamar bog auf den Zubringer ein, der zur Autobahn A7 führte, und beschleunigte. Hannah saß neben ihr, die Hände im Schoß. Manchmal lief ein Zucken über ihren Mund, als ob sie etwas sagen oder zornig widersprechen wolle.
    Hannah hatte ihren Vater in Mariazell besucht, und Tamar hatte darauf bestanden, sie hinzufahren. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, überlegte

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