Schwemmholz
einsteckt, fällt das keinem auf, die Dinger kosten vielleicht anderthalb Pfennig das Stück, der Herr Gföllner wird es noch verkraften.«
Kuttler verließ den Bauwagen. Die drei Umschläge hatte er eingesteckt. Vorsichtshalber schielte er auf seinen Nasenflügel. Von dem Pickel war fast nichts mehr zu sehen. Auch das hatte er sauber hingekriegt. Als er zu seinem Wagen ging, warf er noch einen Blick auf die Baustelle. In einer Ecke hockten und standen vier oder fünf Männer um ein kleines Feuer und frühstückten. Die Männer hatten struppige Schnauzbärte und trugen eine abgerissene Arbeitskluft.
Polen? Ukrainer?, überlegte Kuttler. Jedenfalls keine Kollegen, die Gföllners Polier zum Vesper in den Bauwagen lässt.
»Na denn«, sagte Leissle und zog sich die Pudelmütze mit den Sehschlitzen über den Kopf. Die Mütze hatten sie aus der Asservatenkammer geholt. »Wie schau ich aus?«
»Furchterregend«, antwortete Tamar. »Direkt wie der Bös-Schlumpf auf Bankraub.« Leissle, genannt Orrie, war 1,65 Meter groß. Auf Absätzen. Niemand wusste genau, wie er es geschafft hatte, in den Polizeidienst zu kommen.
»Wenn du wüsstest, wie groß ich woanders bin«, sagte Orrie, kletterte in den Truck und schlug die Fahrertür zu. Plötzlich war er Tamars Blicken entzogen. »So geht das nicht«, hörte sie ihn. »Habt ihr mir ein Kissen? Moment, den Sitz kann man verstellen.« Es dauerte, dann tauchte Orries schwarz bemützte obere Kopfhälfte im Seitenfenster auf.
»Schöne Sicht von hier oben«, sagte er. Tamar drehte sich zu Rübsam um. Der Pfarrer saß im Daimler seines Kirchenvorstehers. Der Wagen war ungefähr an der Stelle abgestellt, von der aus er den Unfall beobachtet hatte. Rübsam schüttelte den Kopf: »Der Fahrer war entschieden größer.«
Orrie kletterte beleidigt aus dem Führerhaus. Mit nichts konnte man ihn so beleidigen wie mit der Behauptung, er sei für irgendetwas zu klein. Er zog die Mütze herunter und gab sie Heilbronner. Der hatte gute Mittelgröße. Als Heilbronner
im Fahrerhaus saß und den Sitz wieder auf etwas unter Normal heruntergekurbelt hatte, zögerte Rübsam. »Es kann die besondere Situation gewesen sein«, sagte er zu Tamar. »Verstehen Sie, vielleicht kam er mir größer vor, weil ich ihn als so bedrohlich empfunden habe.«
»Wir machen noch einen Versuch«, meinte Tamar. Polaczek, Basketball-Center der Polizeiauswahl, schlängelte sich groß und dünn das Fahrerhaus hinauf.
»Das ist es«, sagte Rübsam. »Dieser Kollege von Ihnen hat ziemlich genau die Größe. Nur nicht in den Schultern. Der Fahrer war irgendwie massiver. Athletischer.« Rübsam duckte seinen Akademikerkopf zwischen schmächtige Schultern, ein sehr vergeblicher Versuch, dachte Tamar, sich das Aussehen eines Rugby-Spielers zu geben.
Auf dem Krankenhausflur kam ihr Berndorf entgegengehumpelt; Tamar sah es erleichtert und gerührt. Erleichtert, weil sie befürchtet hatte, sie würde ihn beim Essen stören. Warum sie gerührt war, hätte sie allerdings nicht sagen können.
Berndorf lächelte schief.
»Auf lange Krücken schief herabgebückt
und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme.
Zitat Ende. Der Dichter ist ein Alfred Lichtenstein. Hier kriecht allerdings nur einer.«
Tamar lächelte. »Sie gefallen mir schon sehr viel besser.« Sie stellten sich an ein Fenster, und Tamar berichtete, was der Ortstermin gebracht hatte.
»Aber das ist noch nicht alles. In der Fahrerkabine war Blut, ziemlich viel. Sie haben ihm ordentlich eine verpasst. Blutgruppe 0 übrigens. Wissen Sie, wer die auch hat?«
Berndorf schüttelte den Kopf.
»Stefan Rodek hat Blutgruppe 0, sagt die Bundeswehr.«
»Blutgruppe 0 haben viele. Wenn es aber wirklich Rodek war und wirklich ein Racheakt von ihm, dann sind auch Sie in Gefahr. Wir waren es beide, die ihn in den Knast gebracht haben.«
»Mag sein«, antwortete Tamar. »Aber fürs Erste hat er genug.«
»Das kann sich ändern.«
»Sollen wir nach ihm fahnden? Angeblich hält er sich in Stuttgart auf. Und irgendwo muss er sich verarzten lassen.«
Berndorf schaute sie nachdenklich an. »Keine Fahndung. Jetzt noch nicht. Vielleicht können wir die Stuttgarter Kollegen bitten, dass sie unauffällig nach ihm schauen. Wenn er dort irgendwo auftaucht und ihm auch nichts fehlt, hat sich die Sache sowieso erledigt.«
»Verstehe ich recht – Sie wollen, dass das vertraulich läuft?«
»Ja«, sagte Berndorf. »Im Neuen Bau muss das sonst niemand wissen.« Er kniff
Weitere Kostenlose Bücher