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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Berufsverkehr die ersten Staus an. Orrie schaltete das Blaulicht ein und schlängelte sich auf die Straße nach Wiblingen hinaus. Auf dem Zubringer zur Allgäu-Autobahn sahen sie die Schlange der Lastwagen, die sich durch den Regen nach Süden schob.
    »Ich möcht’ mal wissen«, sagte Orrie, »wann die Stuttgarter aufhören, ihren Schutt hierher zu karren.« Der Scheibenwischer schmierte durch eine graue Brühe.

    Das Häuschen war schmal und spitzgieblig, mit einem Schutzdach aus gelblichem Glas über der Haustür. Vor einer Blechgarage stand ein älteres, schwarz lackiertes Opel-Coupé. Auf dem polierten Lack perlten die Regentropfen. Tamar klingelte an der Tür, nach einer Weile öffnete eine Frau mit strähnigem grauen Haar. Die Großmutter, überlegte Tamar.
    Die Frau sah über Tamar hinweg auf die beiden Uniformierten. »Was wollt ihr schon wieder?«
    Tamar zeigte ihren Ausweis. »Ich möchte Herrn Michael Achenbach sprechen. Er ist Ihr Enkel, nicht wahr?«
    Die Frau streifte sie mit einem Blick. »Ich weiß nicht, wo er ist. Er wird noch arbeiten.« Dann kam ihr ein Gedanke. »Der ist nicht so wie das ausländische Gesindel, das sich hier herumdrückt. Aber die dürfen stehlen und Leute umbringen, das kümmert euch nicht.«
    »Lass mal, Oma«, sagte eine Stimme hinter ihr. Ein junger Mann schob sich an der alten Frau vorbei und betrachtete Tamar aus kalten blauen Augen. Seine Nase war seitlich gekrümmt, als hätte er einmal einen Schlag darauf abbekommen. »Sie sind neu«, sagte er. »Unter denen, die bei uns rumschleichen, habe ich Sie noch nie gesehen.«
    Tamar wies noch einmal ihren Ausweis vor.
    »Ich arbeite im Dezernat Kapitalverbrechen«, sagte sie dann. »Können wir hereinkommen?« Zögernd gab Achenbach den Weg frei. Sie gingen in einen engen Flur und dann eine Treppe hoch. Von dort kamen sie in ein ausgebautes Dachzimmer mit Mansardenfenstern. Den Fenstern gegenüber hing die Reichskriegsflagge. Auf einem Bücherbord war zwischen Kriegsbüchern und einer Ausgabe von Hitlers »Mein Kampf« ein Wehrmachts-Stahlhelm drapiert. An einem Haken hing ein Kopfschutz, wie ihn Amateurboxer tragen, und über dem Regal waren großformatige Bilder aus einem Boxring an die Wand gepinnt. Sie zeigten Kampfszenen von Thai-Boxern. Einer von ihnen hatte eine Nase, die seitlich auffallend gekrümmt war.
    Achenbach drehte sich um. »Also?«, fragte er.

    Tamar betrachtete ihn kühl. »Wo waren Sie am Nachmittag des 10. September vergangenen Jahres?«
    »Was soll der Scheiß?«, fragte Achenbach zurück. »Wenn ich Sie das fragen würde, könnten Sie mir’s auch nicht sagen.«
    »Ich kann Ihrer Erinnerung nachhelfen«, antwortete Tamar. »Sie haben in der Tankstelle in Wiesbrunn einen Kanister Dieselöl abgefüllt und an der Kasse bezahlt.«
    Achenbachs Gesicht wurde noch verschlossener. »Davon weiß ich wirklich nichts. Und wenn es so gewesen wäre, wäre ja wohl nichts dabei.«
    »War es so?«
    Achenbach sah sie an. »Sind Sie schwer von Begriff? Ich weiß nichts davon, also kann ich auch nichts dazu sagen.«
    »Na gut«, meinte Tamar. »Dann kommen Sie mit uns auf die Polizeidirektion. Jemand will Sie da sehen.«
     
    »Es war ein großer, stämmiger Junge«, sagte der Mann in der Wildlederjacke. Er sprach mit kultivierter heller Stimme. Schon die ganze Zeit hielt er sich ein nasses Papiertaschentuch an den Hinterkopf. »Ein Junge?«, fragte der Schichtführer des Bundesgrenzschutzes.
    Eigentlich hatte die Bahnhofswache den Ulmer Hauptbahnhof fest im Griff. Trotzdem kam es ab und zu vor, dass einem Reisenden eins über den Kopf gezogen wurde. Meistens in der Bahnhofstoilette, und meist passierte es Männern, von denen danach längst nicht alle zur Bahnhofswache gingen.
    »Ja, ein Junge«, sagte der Mann, »nicht was Sie meinen, nicht zwölf oder dreizehn, was denken Sie denn von mir! Ende zwanzig würde ich schätzen, aber ich habe nicht viel von ihm gesehen, da kam dann schon der Schlag und er hat mich in die Toilette geschoben . . .«
    »Und jetzt fehlt Ihnen die Brieftasche?«
    »Ach nein«, widersprach der Mann. »Es ist nur das Handy, sonst ist noch alles da, bitte überzeugen Sie sich!«
    Der Schichtführer hob abwehrend eine Hand. »Was war das für ein Gerät?«

    Der Mann nannte die Marke. »Es wird mit einer Telefonkarte aufgeladen, Sie brauchen also keine lästige PIN-Nummer, heutzutage müssen Sie sich ja sowieso viel zu viel merken. Und es hat nicht dieses unangenehme Quäken. Wenn ein Anruf

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