Schwemmholz
aufläuft, vibriert das kleine Dingelchen. Trotzdem verstehe ich nicht, warum die Jungs so scharf auf so etwas sind. Ein Handy bekommen sie heute ja nachgeworfen. Und ich hätte ihn ja auch gerne telefonieren lassen, der Mensch muss ja kommunizieren, ich bin da wirklich nicht kleinlich . . .«
Von Westen her zogen immer neue Regenwolken heran. Die Nässe war überall, und auch die Plastikplane, die an dem Haselnussgebüsch unter dem Hang neben der Tankstelle festgemacht war, bot keinen Schutz.
»Scheiße«, sagte der Mann, der bis zum Kinn tätowiert war, und blickte verdrossen auf die Tankstelle. Kein Schwein ließ sich bei diesem Sauwetter den Wagen waschen. Die Tankstelle hatte eine Waschzelle, in die man hineinfahren musste. Manchmal hatten die Leute Probleme damit. Dann konnte man sie dirigieren, und sie gaben einem eine Mark oder 50 Pfennig.
»Aber der Kumpel hier is’n feiner Kerl«, sagte der Alte, der neben ihm auf einem leeren Bierkasten hockte. »Ne Bombe für zwei Mark. Is glatt geschenkt. Wirklich ’n feiner Kerl.«
Der Tätowierte verzog das Gesicht. Er wusste, warum der Tankstellenpächter die Berber auf seinem Gelände duldete. Nachts sollten sie einfach da sein. Damit es bestimmten Leuten nicht so schnell einfällt, in die Tankstelle einzubrechen.
Schon okay, dachte er. Aber der Zwei-Liter-Rotwein war wirklich zum Speien. Der Alte hielt ihm die Flasche hin. »Besser als nichts«, sagte der Tätowierte nach kurzem Zögern, wischte den Flaschenhals ab und nahm einen kräftigen Schluck.
Als er die Flasche absetzte, merkte er, dass jemand neben ihm stand. Noch bevor er zu ihm hochsah, wusste er, wer es war. Es war Staff. Vorsichtshalber setzte er ein verbindliches
Grinsen auf. Man ging Staff besser aus dem Weg. Jeder wusste das. Aber dazu war es nun zu spät.
»Staff, alter Kumpel, wie geht’s?«
»Na Tanko, immer durstig, wie?«, sagte der Mann.
Der Tätowierte hielt ihm die Flasche hin: »Magst einen Schluck?«
»Nur zu«, krähte der Alte von seinem Bierkasten. »Wir lassen keinen Kumpel verdursten.«
Staff schüttelte den Kopf. »Ich brauch ein ordentliches Bier und ’ne Bratwurst. Und einen Platz zum Pennen. Hast ’ne Idee?« Er griff in seine Jackentasche und zeigte mit zwei Fingern einen zusammengefalteten Hundertmarkschein.
»Aber sicher hab ich ’ne Idee, Staff«, sagte Tanko. »Du hätt’st gar kein’ Bessern nich finden können als mich.« Richtig Dusel war das, redete er sich ein.
»Es regnet, stimmt«, sagte Hannah. »Aber das ist noch lange kein Grund, dass ihr hier zu Hause hockt. Das ist ein richtig netter Altenkreis, und ihr müsst euch da überhaupt nicht verstecken, da sind viele, die sind noch viel schlechter zu Fuß als ihr. Außerdem gibt es einen schönen Vortrag, und danach Butterbrezeln und einen Malventee.«
»Wir sind aber nie in die Kirche gegangen, und auf meine alten Tage will ich das auch gar nicht erst anfangen«, murrte Maria Skrowonek. »Einen Malventee glaub ich nicht, dass ich mag«, sagte ihr Mann Erwin.
»Genau so hab ich es erwartet«, antwortete Hannah. »Erst habt ihr es mir versprochen, und nun wollt ihr nicht. Aber das mit der Kirche hat überhaupt nichts zu sagen. Da sind viele, die haben mit dem lieben Gott schon lange nichts mehr am Hut. Und du kannst ruhig einmal etwas anderes trinken als deinen Rotwein, frag nur die Maria.«
»Aber da sind doch lauter Weiber, denen der Alte schon über die Wupper ist«, wandte Maria ein. »Ich will nicht, dass die dem Döskopp da schöne Augen machen.«
Hannah warf einen zweifelnden Blick auf Emil Skrowonek.
»Nein, Tantchen«, sagte sie dann, »ich glaube, da brauchst du dir keine großen Sorgen zu machen.«
Hannah hatte am Tag zuvor nach einigen Telefonaten in der Paulus-Gemeinde einen Altenkreis ausfindig gemacht, zu dem sie die beiden bringen konnte. »Wenn man sie sich selbst überlässt, verkommen sie noch völlig in dem leeren Haus«, hatte sie dem Pfarrer der Paulus-Gemeinde erklärt. »Es ist nur so – die beiden waren nie sehr fromm.«
»Bringen Sie sie nur«, hatte Johannes Rübsam geantwortet. »Solche haben wir noch mehr.«
»Wir hören«, sagte Tamar und legte sich ihren Notizblock auf der Schreibplatte zurecht. Achenbach schwieg.
»Vielleicht sollte ich mir was zum Lesen holen«, meinte Kuttler. »So eine Nacht kann lang werden.«
»Gute Idee«, antwortete Tamar, öffnete ihre Schreibtischschublade und zog »Orlando« von Virginia Woolf hervor. Hannah hatte ihr den
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