Schwemmholz
Wand mit Fotografien voll gehängt. Die Bilder zeigten Kampfszenen und verschwitzte Männer, denen Ringrichter den Arm zum Zeichen des Sieges hochhielten.
»Kolleginnen wie Sie haben wir früher nicht gehabt«, stellte der Mann fest und musterte sie unauffällig. »Zu einem Fitness-Kurs sind Sie nicht hergekommen. Hätten Sie auch nicht nötig. Also?«
»Achenbach«, sagte Tamar. »Manuel Achenbach. Thai-Boxer.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Thai-Boxer. Einer, der es gern sein möchte. Manchmal trainiert er hier. Aber es reicht nicht. Kein Kämpfer. Nur große Klappe.«
»Hab ich mir fast gedacht«, meinte Tamar. Sie überlegte. »Was ist mit seinem Kumpel Rodek?«
»So nicht, Kollegin«, sagte der Mann. »Ich weiß nicht, bei wem solche Tricks ziehen sollen. Bei mir jedenfalls nicht. Stefan Rodek hat im letzten Jahr hier gearbeitet, ganz regulär, Lohnsteuer und Versicherungen inklusive. Aber wie kommen Sie darauf, dass er Achenbachs Kumpel wäre?« Wieder schüttelte er den Kopf. »Bei denen ist die Kragenweite wirklich zu verschieden.«
Das hätte ich mir allerdings denken können, ging es Tamar durch den Kopf. Dann wollte sie wissen, was Rodek genau im Studio gemacht habe.
»Konditions- und Boxtraining«, antwortete der Mann. »Wir haben hier einen recht gut besuchten Boxkurs für Manager. Ein Kurs im richtigen Boxen. Den eigenen Schweinehund überwinden. Treffen und nicht getroffen werden. Kann jeder gut gebrauchen.«
»Und Rodek hat diesen Kurs betreut?«
»Er war ein guter Amateurboxer«, antwortete der Mann. »Stand auch schon mal in einer Bundeswehr-Staffel.« Er verzog das Gesicht. »Leider kommt sein didaktisches Geschick nicht an seinen linken Jab heran. Vermutlich hat ihn die Bundeswehr als Trainer versaut. Er hat nicht begriffen, dass er nicht bloß befehlen kann. Wir haben uns trennen müssen.«
»Wissen Sie etwas über Freunde oder nähere Bekannte?«
»Ich hab ihn bezahlt. Privatleben anderer interessiert mich nicht. Wenn Sie mehr über Rodek wissen wollen ...«, der Mann unterbrach sich und überlegte. »Der Einzige, der mir einfällt, ist sein früherer Trainer.«
Er zog eine Schublade auf und holte ein braunes zerfleddertes Notizbuch heraus. »Der Mann heißt Oettinger und ist noch immer Übungsleiter bei einem Stuttgarter Club. Moment. . .« Von einem Block mit Vordrucken für die Trainingszeiten
riss er einen Zettel ab und notierte auf der Rückseite eine Telefonnummer. Dann gab er den Zettel Tamar. »Aber passen Sie auf. Oettinger hat die Altersgeschwätzigkeit.«
Tamar verabschiedete sich und ging. Der schweißglänzende Jüngling schlug noch immer auf den Sandsack ein. Durch den Regen, der wieder stärker geworden war, fuhr sie zurück in den Neuen Bau.
War wohl nichts, dachte Berndorf und schlug den nächsten Ordner auf. Er enthielt Zeugnisse und Bescheinigungen. Negative und Kontaktabzüge, sorgfältig chronologisch geordnet, füllten die nächsten beiden Faszikel. Im fünften Ordner endlich fand Berndorf private Korrespondenz, ganz oben einen in runder Kinderschrift gefertigten Dankesbrief an den lieben Onkel Hartmut, in dem sich eine Sabine für den schönen Plüsch-Osterhasen Schnuffi bedankte.
Ein weiterer Brief war – mit der Ortsangabe Pliezhausen – von Sanders Mutter geschrieben. Sie freue sich auf seinen Besuch, hieß es darin, und sie werde extra eine Schwarzwälder Kirschtorte backen.
Berndorf stand auf, ging in das Wohnzimmer, wo er ein Telefon gesehen hatte, nahm den Hörer ab, drückte die Kurzwahltaste und dann die Ziffer eins. Die Verbindung baute sich auf. Eine brüchige Stimme meldete sich: »Ja, bitte?« Berndorf nannte seinen Namen und log, er sei ein Kollege von Hartmut Sander. Ob er mit der Mutter spreche?
»Ein Kollege? Er hat mir noch nie von Ihnen erzählt.«
»Ich bin neu am Landgericht«, erklärte Berndorf. »Und ich habe ein Problem, bei dem ich einen Rat von Ihrem Herrn Sohn brauche. Aber nun hat er für ein paar Tage Urlaub genommen. Da dachte ich, er ist vielleicht bei Ihnen und könnte mir kurz Auskunft geben.«
»Ich weiß nichts von einem Urlaub«, sagte die Stimme abweisend. »Er ist nicht bei mir. Aber von Ihnen hab ich noch nie gehört.« Dann legte sie auf.
Berndorf zuckte mit den Schultern und gab über Kurzwahl
die Ziffer zwei ein. Es klingelte einige Male, dann meldete sich eine Kinderstimme.
»Mein Name ist Berndorf«, sagte er, »und ich hätte gerne deinen Onkel Hartmut gesprochen.«
»Der ist doch
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