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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Blut schoss heraus. Dann kippte er nach vorne. Judith wehrte den Aufprall mit beiden Händen ab, Rodek fiel zur Seite. Von seinem halb erschlafften Glied hing ein weißlicher Faden.
    Judith starrte zur Decke der Küche hoch. Unter der Decke hing eine Neonröhre. Eigentlich waren es zwei Neonröhren. Eine davon machte, wenn sie eingeschaltet war, rotes Licht. Wie auf dem Rummelplatz. Oder im Bordell.
    Dann fiel ihr die Stille auf. Oben war die Decke, und unten war sie. Nichts mehr passierte. Rodeks kräftiger Körper lag auf ihrem linken Bein. Sie richtete sich auf, stemmte ihren rechten Fuß gegen Rodeks Hüfte und versuchte, rückwärts wegzurutschen. Schließlich konnte sie ihr Bein hervorziehen.
    Sie stand schwankend auf und streifte den Rock nach unten. Ihre Bluse war zerrissen und blutverschmiert.

    Sie sah auf den Mann hinunter. Er lag noch immer da, wie er gefallen war, halb auf die Seite gekippt.
    Mein Gott, dachte sie, wie groß er ist.

Freitag, 28. Mai
    Es begann zu dämmern. Draußen im Atrium schalteten sich die Strahler ein und tauchten die Pflanzen in ein unwirkliches Licht, als ob sie in einem Aquarium lebten. Im Fernsehen kam die Landesschau, nach den Regenfällen der vergangenen Wochen näherten sich die Wasserstände am Bodensee, am Neckar und an der Donau den Höchstmarken. Auch in Köln stand das Wasser bis zum Hals, und zwar einem Kommunalpolitiker, der mit den Aktien der Stadtwerke in die eigene Kasse spekuliert hatte. Die Festspiele in Baden-Baden befanden sich vor der Pleite, und auf dem nordbadischen Bezirksparteitag der Staatspartei hielt ein gereizter Mann mit unsteten Augen und fahrigen Gesichtszügen eine aufgeregte Ansprache.
    Welf stellte den Ton lauter. Offenbar ging es um den Ausbau des Stuttgarter Flughafens. Er werde veranlassen, sagte der Ministerpräsident, »dass alle Ausschreibungsunterlagen und die eingereichten Angebote offen gelegt werden.« Es werde sich dann nämlich herausstellen, »dass die Arbeitsgemeinschaft, an der mein Schwager beteiligt ist, das bei weitem günstigste Angebot abgegeben hat, ich bitte Sie, muss die Finanzverwaltung des Landes einen teureren Anbieter nehmen, nur weil der billigste Bieter der Schwager des Ministerpräsidenten ist? Wenn sie das täte, da kämen doch die Leute und würden sagen, denen hat man ins Hirn geschissen, mit Verlaub.«
    Georgie war Welf auf den Schoß gekrabbelt. »Mund zu«, sagte Welf. Marie-Luise kam herein und sagte, der Tisch sei
für das Abendessen gedeckt. »Ich komme gleich«, antwortete Welf. »Was in den letzten Wochen so gelaufen ist, war natürlich nicht immer hilfreich.« Unversehens hatten die Gesichtszüge des Ministerpräsidenten einen leidenden Ausdruck angenommen. »Ich mache da keinen Hehl daraus. Und hilfreich war auch keineswegs, wie manche Vorgänge in der Öffentlichkeit dargestellt wurden. Es darf nicht sein, dass es da Überfälle, Anschläge geben kann, und dann steht das Opfer und nicht der Täter am Pranger. Die Bürger verstehen so etwas nicht, und ich habe das auch im Kabinett sehr deutlich gesagt.«
    Georgie kletterte von Welfs Schoß und lief ins Esszimmer. Die Landesschau blendete den Ministerpräsidenten aus und schob einen hamstergesichtigen Moderator ins Bild. »Der Ober sticht den Unter, das ist nicht nur beim Kartenspiel so, sondern auch in der Landespolitik«, mümmelte der Moderator. »Beobachter der Landtagsszene jedenfalls werten die Bemerkung des Ministerpräsidenten als schweren Rüffel für Innenstaatssekretär Schlauff. Der Staatssekretär ist für die Polizei zuständig, und die hat vor kurzem einen Ulmer Unternehmer ganz unverblümt in die Nähe eines Bandenkrieges mit mafiosen Strukturen gerückt. Nun weiß jedermann, dass dieser Unternehmer ein Geschäftspartner der Familie des Ministerpräsidenten ist. Allen Beobachtern war daher seit Wochen klar, dass der Chef in der Villa Reitzenstein eine solche Bloßstellung nicht auf sich beruhen lassen würde. Jetzt, nachdem der Ministerpräsident sich die Unterstützung der anderen Bezirksverbände seiner Partei sichern konnte, hat er auf den Tisch geschlagen.«
    Welf drückte die Stand-by-Taste und ging ins Esszimmer. Marie-Luise sah fragend zu ihm hoch. Sie hatte die Lippen geschminkt, mit einem sehr dezenten, kühlen Rot. Trotzdem sah sie blass aus und stumpf. Georgie hatte einen Teller mit einem klein geschnittenen Nutella-Brot vor sich und stopfte eines der Häppchen nach dem anderen in sich hinein.
    »Ich hab noch Nachrichten

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