Schwemmholz
hatten sich verzogen, und die Frühlingssonne lächelte über dem pudelnassen Land. Krauser stand am Fenster seines Wohnzimmers und schaute blind zum Blautal hinab. Hätte man ihn gefragt, ob es regne oder ob die Sonne scheine: er hätte erst nachsehen müssen. Ab Montag würde er
wieder in der Revierwache Blaustein Schicht schieben, sich Krauß’ hämische Begrüßung anhören müssen, wie es denn gewesen sei bei der Kriminalpolizei und der hochberühmten Sonderkommission, und ob man denn den Kollegen überhaupt noch mit den geplünderten Bienenstöcken des Imkers Hugendubel belästigen dürfe, oder mit der Frau aus dem Block mit den Sozialwohnungen und ihren Kindern, die jeden zweiten Tag im Aldi beim Klauen erwischt werden.
Nein, dachte Krauser. Mit mir nicht mehr. Dafür weiß ich zu viel. Er ging in die Garderobe, zog seinen Trenchcoat an und setzte den breitkrempigen Hut auf, den er sich vor einigen Wochen gekauft hatte. Dann warf er noch einen Blick in den Spiegel, stellte fest, dass der Hut irgendwie falsch saß, und zog ihn ein wenig mehr in die Stirn. Er erinnerte sich an einen Film, in dem Alain Delon auch so vor dem Spiegel stand und sich den Hut zurechtrückte.
Entschlossen verließ er die Wohnung. Mit raschen Schritten ging er die Treppe hinunter und in die Tiefgarage, wo er seinen Ford Mondeo geparkt hatte. Er würde in die Stadt fahren und von dort anrufen. Am besten von der Hauptpost aus. Das war professionell. Er lächelte grimmig. Dann fiel ihm ein, dass Alain Delon niemals lächelt. Nicht in jenem Film.
Die Musik zur Tanzcafé-Stunde brach ab, ohne Übergang hüpfte eine zirkusbunte Melodie aus der Lautsprecheranlage. Es war Sandie Shaw und sie sang »Like a puppet an a string«. Das ist ja bald so alt wie ich, dachte Judith. Früher hatte sie es gemocht, wenn sie es in einer Oldie-Sendung zu hören bekam. Missvergnügt betrachtete sie den Rücken der Frau vor ihr. Sie war eine der langbeinigen falschen Blondinen, die so lange gut aussehen, bis sie um die Hüfte herum ansetzen. Es war schon nach 17 Uhr, aber die Watschelhüftige ließ sich Zeit, als habe sie noch nie von Berufstätigen gehört, denen jede halbe Minute auf den Nägeln brennt. Offenbar konnte sie sich nicht zwischen Parma-Schinken und Bündnerfleisch entscheiden und scheuchte die kleine dunkle Verkäuferin von einer Auslage
zur anderen. Warum hat dich dein Kerl nicht längst erwürgt, luftgetrocknet und in Streifen geschnitten, dachte Judith.
Der Feinkostmarkt lag im Untergeschoss eines Jugendstil-Kaufhauses und gehörte zu den besseren Adressen in der Stadt. Judith hatte sich drei Flaschen Champagner in den Einkaufswagen gepackt und 400 Gramm Krabben abwiegen lassen. Nun brauchte sie noch ein paar Sandwiches und vielleicht auch einige Scheiben Roastbeef. Sandie Shaws klare Stimme sang »Love is just like a merry-go-round«, doch die Blonde klebte teigig vor der Theke. Judith sah sich um. Neben der Fleischtheke war ein Stand mit Küchengerät aufgebaut, ihr fiel ein, dass sich in der Wohnung am Donau-Ufer kaum richtiges Besteck befand, ein paar Teelöffel oder Küchenmesser und der Flaschenöffner für das Bier ausgenommen.
Sie schob ihren Einkaufswagen zu dem Stand. Aufgefächert wie das Arbeitsgerät eines Zirkusartisten lag ein Sortiment Küchen- und Tranchiermesser vor ihr.
»Just who’s pulling the strings«, kam es aus dem Lautsprecher.
Vochezers Obstbäume trugen gut, trotz des vielen Regens würde die Ernte nicht schlecht werden. Nach dem Begrüßungsschnaps hatte sich Berndorf den Hof zeigen lassen, wie sich das für einen Besucher aus der Stadt so gehört, und vom Hof waren sie in die Obstgärten gegangen. Vochezer hatte ihm den Baumschnitt erklärt und war dabei abwechselnd ganz munter und dann auch wieder bedrückt, weil es so schnell mit seinem Arm und der Arbeit nichts mehr werden würde. Dann waren sie wieder zum Wohnhaus zurückgegangen, wo es noch einen Kaffee geben sollte.
Berndorf ließ sich den Weg zur Toilette zeigen. Aber er verirrte sich in die Küche, wo Vera Vochezer gerade dabei war, den Kaffee aufzubrühen. Ein Tablett mit hübschen altmodischen Porzellantassen und mit Apfelkuchen stand bereit.
»Entschuldigen Sie«, sagte Berndorf. »Ich muss Sie etwas fragen, was sonst niemanden angeht.« Vera sah ihn misstrauisch
an. Berndorf holte aus seiner Jackentasche die Fotografie, die er in Sanders Wohnung entdeckt und dort aus dem Rahmen genommen hatte.
»Was können Sie mir über dieses Bild
Weitere Kostenlose Bücher