Schwemmholz
sagen, und über den Mann, der es aufgenommen hat?«
Die junge Frau nahm die Fotografie zögernd in die Hand. Ihr Blick schien zuerst verständnislos. Plötzlich aber lief ein Schatten über ihr Gesicht. Es war, als ließe sie eine Jalousie herab.
Sie hat sich erkannt, dachte Berndorf. Und es ist keine angenehme Erinnerung.
»Warum fragen Sie mich das?«, wollte Vera wissen.
»Das junge Mädchen sind Sie«, sagte Berndorf statt einer Antwort. »Sagen Sie mir, wer der Fotograf war?«
»Wenn Sie das Bild haben, werden Sie ja wohl auch wissen, von wem es ist«, gab Vera zurück. »Ich verstehe nicht, warum Sie herkommen und solche Fragen stellen. Sie sehen ja selbst, dass dieses Bild viele Jahre alt ist. Der Fotograf war ein junger Mann, der mich damals angesprochen hat. Ob er mich vor dieser Wand fotografieren darf. Ich habe gesagt, wenn es sein muss, und bin gleich weitergegangen.«
Sie lügt, dachte Berndorf. »Der Fotograf ist ein Hartmut Sander«, erklärte er. »Ich glaube, dass Sie das wissen. Sander ist seit einigen Tagen verschwunden. Wir müssen wissen, mit wem er Umgang hatte. Was ihn beschäftigt hat.« Er sah Vera Vochezer an. In ihren Augen war Angst zu sehen. Aber da war noch etwas anderes.
»Wir müssen das nicht hier besprechen. Aber es muss auch nicht sein, dass die Polizei Sie vorlädt.« Er gab ihr seine Visitenkarte. »Überlegen Sie sich alles noch einmal. Und dann rufen Sie mich an.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Wenn es Ihnen lieber ist, können Sie auch mit meiner Kollegin Wegenast sprechen.« Er versuchte ein Lächeln. »Ich glaube, ich sollte jetzt wieder zu ihrem Herrn Schwiegervater.«
Er ging. Vera sah ihm nach. Dann stellte sie die Kaffeekanne auf das Tablett und folgte ihm.
Das Haus war unverputzt, und die Fundamente waren noch nicht mit Kies abgeschottet. Um zum Eingang zu gelangen, der mit einer Tür aus unbearbeiteten Bohlen versperrt war, musste Judith Norden mit ihren Einkaufstaschen über Bretter balancieren, die über die Baugrube gelegt waren. Sie sperrte das Schloss auf und ging über den zementstaubigen Boden zur Treppe. In den nächsten Wochen sollten hier Fliesen aus Carrara-Marmor verlegt werden. »Ich bin es«, rief sie nach oben und begann, die ungesicherten Betonstufen hochzusteigen.
Früher war hier einmal eine der Villen gestanden, die sich wohlhabende Bürger in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg auf dem bayerischen Donauufer errichtet hatten. Mit einiger Mühe hatte Jörg Welf die Genehmigung erhalten, die alte Villa abzureißen und an ihrer Stelle eine Appartementanlage hochzuziehen. Dabei hatte er das Baufenster ausgenützt, so weit es irgend ging. Doch das Projekt lief nicht so gut, wie Welf es erhofft hatte. Auch in den Unternehmen wurden Arbeitsplätze abgebaut, fast bis hinauf zur Direktionsebene, und die aufstrebenden Young Urban Professionals, denen Welf den Donau-Wohnpark anbieten wollte, mussten sehen, wo sie in München oder Berlin einen neuen Job bekamen.
Welf hatte die oberste Wohnung so weit herrichten lassen, dass sie als Muster gezeigt werden konnte. Es war ein großzügig geschnittenes Appartement mit einer in Chromstahl schimmernden Küche und einer Dachterrasse, von der aus man den Blick auf die Donau und das Ulmer Ufer hatte.
Judith schloss die Wohnungstür auf, trat in die Garderobe und drückte die Tür hinter sich zu. Dabei vermied sie es, in den Garderobenspiegel zu sehen. Sie ging in die Küche, stellte die Einkaufstaschen neben den Kühlschrank und begann, zuerst den Champagner zu verstauen. In der zweiten Tasche waren das Roastbeef und die Sandwiches, die sie dann doch noch bekommen hatte. Und das Küchenmesser, das sie an dem anderen Stand gekauft hatte. Die Verkäuferin hatte es ihr in eine Lage graues Papier eingewickelt, die von der scharf geschliffenen Klinge schon fast zerschlissen war.
Sie spürte, wie ein Schatten in die Küche fiel. Sie räumte weiter ein. Es war besser, sich jetzt nicht umzudrehen.
»Darf ich fragen, warum das so lange gebraucht hat?« Rodeks Stimme klang leise und unbeteiligt.
»Ich musste herausfinden, wo dieses Mädchen lebt, du weißt schon. Und wie sie jetzt heißt. Und dann musste ich noch ein paar Briefe für Jörg schreiben.« Sie wusste, es war das Dümmste, was sie sagen konnte. Aber es hätte nichts geändert, wenn ihr etwas anderes eingefallen wäre. »Die Sache mit der Sporthalle kommt jetzt ins Laufen.«
»Schön«, antwortete Rodek. Aber es klang unangenehm. »Schön für
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