Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
eine abwehrende Handbewegung. »Geh nach draußen und sorg dafür, dass niemand das Silber stiehlt.«
Jane seufzte schwer und ging.
Lucille schaute Barnes an. »Ich nehme an, Willie, dass Sie und Ihre hübsche Partnerin mit mir reden möchten, ohne dass sie hier rumhängt.«
»Sie können Gedanken lesen, Mrs. Grayson.«
»Ihre Gedanken sind nicht so schwer zu entschlüsseln.«
Barnes lächelte. »Sie kränken mich zutiefst, Mrs. Grayson.«
»Darin bin ich gut.« Lucilles Augen wurden feucht. »Davida war auch gut darin, obwohl sie Geduld mit mir hatte. Ich bin sicher, dass ich ihr ungeheuer auf den Wecker gegangen bin.«
»Ich bin sicher, dass Sie ihr nicht -«
Lucille tätschelte ihm die Hand. »Sie kannten sie nicht sehr gut, Willie, nicht wahr?«
Barnes verzog keine Miene. »Sie war jünger als ich. In Jacks Klasse.«
»Jack kannte jeden … und wusste über jeden Bescheid.«
»Das ist wohl wahr.«
»Wie lange ist es her, dass er gestorben ist?«
»Zehn Jahre.«
»Wirklich? Ich kann kaum glauben, wie schnell die Zeit vergeht.«
»Das tut sie allerdings, Mrs. Grayson.«
»Sie können sich kaum vorstellen, was für eine Hetze das Leben für eine alte Frau wie mich geworden ist. Für mich sind sie alle noch Kinder. Glynnis, Jack … und jetzt Davida. Das Leben hat mich tonnenweise mit Scheiße bedacht, aber ich weigere mich zu sterben.« Sie hob ihr Glas. »Gott sei Dank für den Alkohol. Besorg mir noch einen Schluck, Willie.«
Barnes gehorchte. Lucille wandte sich an Amanda. »Ich bin nicht sehr höflich, nicht wahr? Plaudere über alte Zeiten, mit denen Sie nicht vertraut sind.« Sie blickte sich geistesabwesend um, als nehme sie den vollgestopften Raum zum ersten Mal zur Kenntnis. »Ich muss gleich wieder zu den Barbaren zurück. Was wollen Sie denn von mir wissen?«
Barnes rieb die Hände aneinander. »Das könnte jetzt ein bisschen unangenehm werden …«
Lucille saß da und trank und wartete gelassen.
»Wissen Sie, ob Davida eine Affäre hatte?«
Lucilles Augen schwenkten von Barnes’ Gesicht zu dem offenen Kamin. Sie nahm noch einen Schluck Whiskey. »Ich mag Minette nicht, habe sie nie gemocht, und Davida war sich dessen durchaus bewusst. Falls meine Tochter jemand anderen gehabt hätte, hätte sie es mir nicht gesagt, weil ich sie bedrängt hätte, Minette ein für alle Mal den Laufpass zu geben.«
»Lassen Sie mich die Frage neu formulieren«, sagte Amanda.
»Falls Davida jemand anderen hatte, wer könnte es gewesen sein?«
Die alte Dame zuckte mit den Schultern.
»Ist es möglich, dass es ein Mann gewesen sein könnte?«, fragte Amanda.
Lucille antwortete nicht sofort. »Nein, das glaube ich nicht. Es war für Davida sehr praktisch, Lesbierin zu sein.«
»Ein Grund mehr, eine Affäre mit einem Mann geheim zu halten.«
»Mit einem Mann …« Als ob sie an eine exotische Spezies dächte. »Nein …« Lucille schüttelte den Kopf. »Ich kannte meine Tochter besser, als man vielleicht denkt. Sie war nicht an Männern interessiert.« Noch ein Schluck Whiskey. Sie starrte Amanda an. Langsam verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. »Man muss schon ähnlich gestrickt sein, um es zu erkennen.«
Barnes verschluckte sich fast an seinem Drink, obwohl Lucilles Eingeständnis ihn nicht hätte schockieren dürfen. Es war kein Geheimnis in Sacramento, dass sie ihren Mann kühl behandelt und seit ihrer Scheidung für Männer nichts mehr übriggehabt hatte. Er hatte geglaubt, das seien die Folgen einer schlechten Ehe, aber vielleicht hatte er Ursache und Wirkung verwechselt.
»Einer der Gründe, warum ich Minette nicht leiden konnte«, sagte Lucille, »bestand darin, dass sie nicht echt war. Nur ein oberflächliches, dummes Mädchen, das sich von meiner Tochter aushalten ließ. Jetzt ist es kein Geheimnis mehr …, was die kleine Schlampe in all den Nächten machte, als meine Tochter arbeitete.«
Barnes rieb sich das Kinn. »Ich glaube, Davida hat nicht nur gearbeitet, Mrs. Grayson. Davida hatte Gonorrhö, aber Minette ist nicht infiziert. Es muss noch jemanden im Leben Ihrer Tochter gegeben haben.«
Lucille holte tief Luft und atmete wieder aus. »Ich verstehe.«
»Deshalb habe ich gefragt, ob es einen Mann in ihrem Leben gegeben haben könnte«, sagte Amanda. »Die Krankheit wird leichter von einem Mann auf eine Frau übertragen als von Frau zu Frau.«
»Aha …« Lucille nickte. »Ich verstehe, was Sie damit meinen, aber ich kenne meine Tochter besser. Wenn sie sich angesteckt hat,
Weitere Kostenlose Bücher