Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
abgetrennt und zersplittert.
Dixies Mandoline, deren Hartschalenkasten von einem neueren zusätzlichen Plastikkasten von Marc Leaf umschlossen war, der dem Raumzeitalter entsprungen schien, und in drei Umzugsdecken eingehüllt war, so wie sie ihr Instrument immer verpackte, hatte den Unfall unbeschadet überstanden.
Baker holte die Mandoline aus dem Schrank, wie er es schon so oft zuvor getan hatte.
Starrte sie an, berührte die straff gespannten Saiten, den Steg aus Ebenholz, die Wirbel aus Perlmutt mit den vergoldeten Stahlschrauben.
Nicht allzu viele F-5er waren vergoldet oder dreifach verleimt. Diese hier schon, und jeder, der sie gesehen hatte, war der Ansicht, dass sie aus derselben Serie wie die von Bill Monroe stammte, obwohl sie auf 1924 datiert war und nicht auf 1923. Die von Monroe war vor einigen Jahren beschädigt worden; es kursierte die Geschichte, ein eifersüchtiger Ehemann hätte den Bluegrass-King mit seiner Frau im Bett erwischt und seine Wut an dem Instrument ausgelassen.
Blöd, dachte Baker. Die Menschen waren es, die bestraft zu werden verdienten, nicht die Dinge.
Er starrte die F-5 an und begriff, was er sich gerade gesagt hatte.
Vielleicht sollte er dieses Ding kaputt schlagen. Was brachte Musik denn außer Sünde und Elend?
Das arme Mädchen.
Der reiche Junge, war er in irgendeiner Hinsicht besser dran?
Vielleicht würde er diesen Delaware anrufen und ihn fragen, ob er eine Idee hätte, wie man Tristan helfen könnte.
Nee, der Bursche war inzwischen längst zurück nach L.A. geflogen. Und wieso zum Teufel sollte es ihn was angehen, ob der Junge emotionale Probleme hatte, diese Mutter von ihm...
Er hatte seinen Job erledigt.
Warum nagte die Sache trotzdem an ihm?
Das Mädchen und der Junge - wie alle anderen auf dieser gottverdammten Welt waren sie nur Menschen. Mit ihren Begabungen und ihren Schwächen, ihren großen Kümmernissen und ihren Egos.
Menschen. Falls es einen Gott gab, hatte er einen teuflischen Sinn für Humor.
Vielleicht steckte auch Weisheit dahinter.
Menschen, in der Lage, sich zu ändern. In der Lage, sich zu verbessern, auch wenn so viele dabei scheiterten.
Die Menschen, die Lamar und er Tag für Tag kennenlernten …
Vielleicht steckte mehr dahinter …
Hände - es mussten seine gewesen sein, aber es fühlte sich an, als gehörten sie jemand anderem - hoben die Mandoline aus ihrem Kasten. Der gesamte Rücken glänzte, diese seidenweichen, plastisch gearbeiteten Konturen, wo ein Kunstwerker aus Michigan unter dem wachsamen Blick des obersten akustischen Ingenieurs, eines Genies namens Lloyd Loar, geschnitzt und geklopft und noch ein bisschen geschnitzt hatte.
Loar hatte das Instrument am 21. März 1924 signiert. Alles mit seinem Namen drauf war Sammlern einen Haufen Geld wert.
Bakers Finger glitten über die Saiten. EADG. Nach all diesen Jahren klang sie immer noch perfekt.
Er wusste es, weil er das absolute Gehör hatte.
Seine linke Hand bildete einen G-Akkord. Er befahl seiner rechten Hand, sich nicht zu rühren, aber sie tat es doch.
Ein voller, reiner Klang ertönte, prallte gegen kalte Wände ohne Kunst oder Familienandenken, schlug zurück gegen Billigmöbel und Linoleumböden. Beendete seinen Flug und bohrte sich in Bakers Schädel.
Sein Kopf tat ihm weh.
Seine Hände hörten nicht auf sich zu bewegen, und das half ein bisschen.
Eine Stunde später war er immer noch dabei.
Der Wächter meiner Schwester
DANKSAGUNG
Mein besonderer Dank geht an Chief Douglas
N. Hambleton und Officer Joseph E. Okies
vom Berkeley Police Department und an
Detective Jesse Grant vom Oakland Police
Department, an Dr. Mordecai und Rena Rosen.
1
Der Club stammte aus einer anderen Zeit. Mutter auch.
Die Woman’s Association of Northern California, Conquistadores Ortsgruppe Nummer XVI, hatte ihren Sitz in einem luxuriösen Beaux-Arts-Schloss mit gotischen Elementen von der vorletzten Jahrhundertwende, das oben mit Zinnen und Türmchen versehen und aus massiven Blöcken grau-malvenfarbenen Deer-Isle-Granits aus einem längst erschöpften Steinbruch in Maine errichtet worden war. Die Inneneinrichtung war vorhersagbar: düster und dunkel, abgesehen von Buntglasfenstern mit historischen Goldrausch-Szenen, die Lichtjuwelen an die Wände warfen, wenn die Sonne hindurchschien. Antike Perserteppiche dämpften abgelaufenes Walnussparkett, das Treppengeländer glänzte von jahrzehntelanger Politur, zehn Meter hohe Decken waren in Kassetten mit Goldrand unterteilt.
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