Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
Jetzt zurück. Wo sie weiter von den Gefahren plapperte, die hinter jeder Ecke lauerten.
Lucille zufolge war Davida ein bevorzugtes Ziel jeder von der Vorherrschaft der weißen Rasse träumenden Hassgruppe in Kalifornien, ganz zu schweigen von den Abtreibungsgegnern aus dem Bibelgürtel, antihomosexuellen Farmern aus dem San Joaquin Valley und natürlich Frauenfeinden jeglicher Couleur.
Sie rief sich Mutters erste Worte ins Gedächtnis, als die vorläufige Hochrechnung der Wahlresultate durchgegeben wurde und Davidas Anhänger im Gesellschaftsraum der alten finnischen Kirche mit erhobenen Fäusten in Hochrufe ausbrachen.
Sei vorsichtig, Liebling. Werd nicht großspurig und bilde dir ein, dass du wirklich populär bist, weil du hier gewählt wurdest.
Das war typisch für Mutters negative Weltsicht, aber an ihren Mahnungen war in diesem Fall tatsächlich etwas dran. Davida wusste, dass sie sich viele Feinde gemacht hatte, von denen sie viele nie kennengelernt hatte.
»Keine Sorge, Mutter, mir geht’s prima.«
»Außerdem arbeitest du zu hart.«
»Das tun Leute nun mal, die im Dienst der Öffentlichkeit stehen, Mutter.«
»Wenn du weiterhin so viel arbeitest, solltest du zumindest für deine Bemühungen entschädigt werden. Wie in der Privatwirtschaft. Mit deiner Erfahrung könntest du deine eigene -«
»Geld spielt für mich keine Rolle, Mutter.«
»Das, meine Liebe, liegt daran, dass du immer welches hattest.«
»Das ist richtig, Mutter. Menschen, die vom Glück begünstigt sind, gehen in den öffentlichen Dienst, um sich auf diese Weise zu revanchieren. Hör auf, dir meinetwegen Sorgen zu machen.«
Lucille Grayson wirkte gekränkt. Und verängstigt. Sie hatte eine Tochter verloren. Am Leben zu bleiben konnte eine Last sein, dachte Davida. Aber sie versuchte, Mitgefühl zu beweisen. »Niemand will mir wehtun. Ich bin zu unbedeutend.«
»In den Nachrichten habe ich was anderes gesehen.«
»Sie werden bald jemanden verhaften. Wer das getan hat, war nicht schlau. Vermutlich irgendwelche Trottel von den White Tower Radicals.«
»Sie sind vielleicht nicht besonders schlau, Davida, aber das heißt nicht, dass sie auch nicht gefährlich sind.«
»Ich werde ganz besonders vorsichtig sein, Mutter.« Davida nahm noch einen Happen, legte die Gabel hin und wischte sich den Mund ab. »Es war ein schöner Abend, aber ich habe noch einen Haufen Papierkram auf meinem Schreibtisch liegen, und es ist schon nach neun. Ich muss zurück ins Büro.«
Mutter seufzte. »In Ordnung. Geh ruhig. Ich muss selber noch packen.«
»Schläfst du nicht hier?«
»Nein, ich treffe mich morgen zu Hause mit meinem Steuerberater.«
»Wer fährt dich, Hector?«
»Guillermo.«
»Er ist ein guter Mann.« Davida stand auf und half ihrer Mutter auf die Beine. »Kann ich dir beim Packen helfen?«
»Nein, überhaupt nicht.« Lucille küsste ihre Tochter auf die Wange. »Ich würde dich gerne zu deinem Büro fahren lassen.«
»Es ist eine schöne Nacht, Mutter. Nicht zu kalt und nicht zu neblig. Ich glaube, ich gehe zu Fuß.«
»Zu Fuß?«
»Es ist noch nicht spät.«
»Es ist dunkel, Davida.«
»Ich kenne jeden auf der Strecke, und soweit ich weiß, hat keiner von ihnen vor, mich mit Eiern zu bewerfen. Sei du selber vorsichtig. Ich mag es nicht, wenn du so spät nach Hause fährst. Ich wünschte mir, du würdest hier übernachten.«
Sie lud Mutter nicht in ihre Wohnung ein; alles hatte seine Grenzen.
»Sacramento liegt nur eine Stunde entfernt«, sagte Lucille.
Davida lächelte. »Nicht wenn Guillermo fährt.«
»Eine kürzere Fahrt bedeutet, dass es nicht so viele Probleme geben kann, meine Liebe. Du hast dein Leben, und ich habe meins.«
»Na gut.« Nachdem sie sich von Mutters Freundinnen verabschiedet hatte, begleitete Davida die alte Frau aus dem Speiseraum und half ihr die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. »Ich melde mich morgen bei dir, Mutter. Und ich sage Minette, du hättest sie grüßen lassen.«
»Aber das habe ich nicht.«
»In häuslichen Dingen ist Ehrlichkeit nicht immer die beste Politik.«
2
Während ein dünner Nebel, der Davida in der Nase kitzelte, die Straßenschilder und die dunklen Schaufenster verschleierte, lenkte sie ihre Schritte durch die Stille des Geschäftsviertels von Berkeley, steckte die Hände in die Hosentaschen und genoss die Einsamkeit. Dann wurde ihr das Schweigen
zu viel, und sie schlenderte quer hinüber zur Shattuck Avenue, dem Zentrum des Gourmet Ghetto. Die Restaurants, die die
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