Schwere Wetter
meinte
Thorolf.
»Lies weiter«,
forderte Lüder ihn auf.
Thorolf überflog
den Text. Mit jeder neuen Zeile verfinsterte sich seine Miene.
»Was soll denn der
Scheiß?«, empörte er sich und rückte unwillkürlich ein Stück vom Computer ab.
»Der ist ja nicht ganz dicht. Das ist doch anormal.«
»Du hast es also
erkannt«, stellte Lüder fest.
»Klar. Der
versucht, sich über das Netz an Jugendliche heranzumachen. Diese Sau.«
»So deutlich hat
er es aber nicht geschrieben.«
»Das nicht«, gab
Thorolf zu. »Aber für mich ist das klar.«
»Hast du eine
Ahnung, was das Pseudonym bedeutet?«
»Nuoret
rakastaja«, las Thorolf stotternd vor. »Klingt russisch.«
»Nein. Das ist
finnisch. Übersetzt heißt das ›Liebhaber von Jungen‹.«
Thorolf rückte
noch ein Stück weiter vom Computer ab. »Dieses Miststück.«
»Und mit dem bist
du befreundet.«
»Ich hatte doch
keine Ahnung. Wenn ich das gewusst hätte …«
»Du hast die
Freundschaftsanfrage aber bestätigt.«
»Ich kann doch
nicht alles lesen. Dafür schwirrt viel zu viel im Netz herum. So viel Zeit hat
doch keiner.«
»Die Zeit sollte
man sich aber nehmen. Sonst passiert so etwas.«
Mit spitzen
Fingern setzte sich Thorolf an den Computer, rief sein Profil auf und löschte
die Verbindung zu »nuoret rakastaja«.
»Fühlst du dich
jetzt besser?«, fragte Lüder.
Thorolf brummte
etwas Unverständliches.
»Ich wollte dir
damit nur zeigen, wie gefährlich es ist, ohne nachzudenken im Welt-weit-Netz zu
arbeiten. Alles klar?«
Thorolf nickte.
»Woher weißt du das eigentlich?«, fragte er.
»Du unterschätzt
unsere Generation«, antwortete Lüder ausweichend.
Er hatte nicht die
Absicht, Thorolf zu erklären, dass er selbst am Vorabend »nuoret rakastaja«
eingerichtet hatte. Er verließ das Zimmer des Jungen, ging ins Schlafzimmer und
rief das Profil des angeblichen Finnen auf. Mit Erleichterung stellte Lüder
fest, dass noch niemand anderer auf dieses Profil gestoßen war. Schnell löschte
er es. Er hatte nicht nur Thorolf demonstrieren wollen, mit welcher Vorsicht
man sich im Dschungel des World Wide Web bewegen sollte. Lüder hatte auch mit
Schrecken festgestellt, wie einfach es war, in der Anonymität des Internets
Menschen zu manipulieren.
Er ging ins
Wohnzimmer und setzte sich zu Margit.
»Du bist mir noch
eine Erklärung schuldig«, sagte sie und fügte an: »Mit dem ominösen Unfall
heute.«
Lüder schenkte ein
Glas Rotwein ein und nippte daran. »Ich habe es dir schon erklärt. Da gibt es
nichts hinzuzufügen.«
Margit schüttelte
energisch den Kopf. »So kommst du mir nicht davon.«
Lüder suchte nach
geeigneten Worten und war froh, als sein Handy klingelte.
»Vollmers. Ich
störe Sie ungern am Feierabend, aber wir arbeiten auch noch. Ich denke, die
gute Nachricht interessiert Sie. Wir haben Traian Popescu verhaftet. Alles
Weitere erzähle ich Ihnen morgen. Gute Nacht.«
Bevor Lüder
antworten konnte, hatte Vollmers aufgelegt.
»Ist was?«, fragte
Margit.
Lüder nickte.
»Eine wichtige Verhaftung. Und wie du siehst, erledigen das die Experten,
während ich hier gemütlich sitze und mit dir Wein trinke. Skål .«
Das schien Margit
überzeugt zu haben. Lüder atmete tief durch. Sie begann nicht erneut, über
seine blutbespritzte Kleidung zu sprechen.
ACHT
Endlich hatte es
aufgehört, zu regnen. Dafür wehte ein eiskalter Wind von der Ostsee herein.
Lüder bedauerte die Menschen, die ungeachtet des Wetters ihrem Beruf an der
frischen Luft nachgehen mussten. Dazu gehörten auch die Mitarbeiter der
Müllabfuhr, die zu früher Stunde unterwegs waren und für den Stau auf der Fahrt
zum Landeskriminalamt verantwortlich waren.
Lüder trug seinen
Kaffeebecher vom Geschäftszimmer zu seinem Büro. Edith Beyer hatte sich sehr
verschlossen gezeigt. In solchen Situationen war es ratsam, sie nicht in ein
Gespräch zu verwickeln. Er vermutete, dass die junge Frau mit
partnerschaftlichen Problemen belastet war. Die waren ihm selbst seit Langem
erspart geblieben.
Margit handelte
aus Sorge um ihn, wenn sie kritisch seine dienstlichen Aktivitäten
hinterfragte. Und wenn sie ihn daran erinnerte, dass manches dringend
Erforderliche derzeit liegen blieb, so war es nur eine Feststellung, keine
Klage. »Irgendwie schaffen wir es«, hatte er ihr vor dem Einschlafen am
Vorabend versichert, als sie sich bei ihm angekuschelt hatte. Das Haus, die
Autos, aber auch die vier Kinder waren für das monatliche Budget eines Beamten
des höheren Dienstes
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