Schwere Wetter
abgedeckten
Leichnam.
»Es sieht nicht
sehr appetitlich aus«, warnte Dr. Diether. »Wir sind gerade mitten bei der
Arbeit. Es ist alles offen.« Er sparte sich weitere Erklärungen.
Dustin McCormick
hatte kurz geschorene Haare. Das Gesicht mit den markanten Zügen,
hervorstehende Wangenknochen, der schmale Mund und das hervorstehende Kinn mit einer
Kerbe in der Mitte, ließen den Toten energisch wirken, auch wenn die helle Haut
und die blauen Lippen als äußere Merkmale für den Aufenthalt im Wasser und das
Ertrinken unübersehbar waren.
Dr. Diether
berührte mit dem Handrücken die Wange. »Kalt«, sagte er. Dann fuhr er leicht
mit den Fingerspitzen über die geschlossenen Augenlider. »Die waren
geschlossen, als er eingeliefert wurde. Bei Eintreten des finalen Zustands
erschlaffen die Muskeln. Logisch, dass ein Toter die Augen nicht mehr öffnen
kann. Der Mensch unterscheidet sich in diesem Punkt vom Aal, der angeblich noch
aus der Pfanne hüpft, nachdem er ausgenommen ist.« Der Arzt sah Lüder an. »Das
ist jetzt noch kein offizielles Ergebnis, aber ich vermute, dass man das Opfer
betäubt hat, bevor man es ins Wasser geworfen hat. Der Tod ist eindeutig nicht
durch Ertrinken eingetreten. Wir haben kein Wasser in der Lunge gefunden.
Todesursache war ein Laryngospasmus.«
»Ein
Kehlkopfkrampf«, warf Lüder ein.
Dr. Diether
nickte. »Durch die Wasseraspiration, also das kalte Wasser, kommt es zu einem
Stimmritzenkrampf. Dadurch wird die Atmung verhindert, und das Opfer erstickt.
Wollen Sie es genau sehen?«
»Danke«, lehnte
Lüder ab.
»Aus dem
Gesamtbild vermute ich – wie gesagt: das ist alles noch inoffiziell –, dass das
Opfer betäubt wurde, als es ins Wasser geworfen wurde.«
»Man hat ihn«,
Lüder zeigte auf McCormick, »nicht ins Wasser geworfen.« Lüder schilderte die
Umstände, unter denen man das Opfer gefunden hatte.
»Dann war er
betäubt. Der oder die Täter hatten vorgebeugt und ihm den Mund mit Klebeband
versiegelt, damit er nicht schreien konnte. Mit dem gleichen Band waren die
Hände gefesselt. Das Material haben wir sichergestellt und an die
Kriminaltechnik überstellt. Man hat ihn mit dem Seil gefesselt. Die Schürf- und
Schnittverletzungen an den Handgelenken zeugen eindeutig von der Kraft, mit der
er von der Schwebefähre durchs Wasser gezogen wurde. Zunächst hat man das Opfer
noch lebend an Land liegen lassen. Das Seil war so lang, dass McCormick
untertauchen musste, als die Fähre sich in Betrieb setzte und ihn unter Wasser
hinter sich herzog.«
»Ich bin Ihrer
Meinung«, erklärte Lüder. »Wenn man ihn betäubt hat, deutet vieles darauf hin,
dass es kein Rache- oder Ritualmord war. Andererseits steckt hinter der Art der
Tatausführung eine Botschaft, die ich derzeit aber noch nicht entschlüsseln
kann.«
»Also Profis«,
fügte Dr. Diether an.
Lüder nickte. »Ja.
Er ist kaum tot, schon ranken sich viele Fragen um ihn, obwohl wir noch nicht
viel wissen.«
»Wollen Sie nicht
den Todeszeitpunkt wissen?«, fragte Dr. Diether.
»Nein«, erwiderte
Lüder. »Den kenne ich.«
Der Mediziner sah
ihn an und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.
»Die Fähre nimmt
morgens um fünf Uhr ihren Betrieb auf. Das ist auch der Todeszeitpunkt.«
Dr. Diether pflichtete
ihm durch stummes Nicken bei.
»Wie sind Sie an
diesen Fall gekommen?«, wollte der Arzt wissen.
»Ein Auftrag des
Ministerpräsidenten«, erwiderte Lüder und unterließ es, den genauen Sachverhalt
zu schildern.
»Das wird
vermutlich Ihr letzter offizieller Kontakt zu ihm gewesen sein«, sagte der
Arzt. »Und wer kommt dann? Das steht in den Sternen, nachdem der auserkorene
Kronprinz über seine Essgewohnheiten gestolpert ist.«
Lüder war
mittlerweile mit der verschrobenen Denkweise Dr. Diethers vertraut. »Sie wollen
damit sagen, dass der auserwählte Nachfolger Lamm- statt Hammelfleisch
bevorzugt hat.«
»Richtig«, stimmte
der Mediziner zu. »Junges statt altes Fleisch. Aber moralisch darüber zu
befinden ist hier nicht der richtige Ort. Wollen Sie noch mehr sehen?« Er
fasste zum Tuch, um es weiter aufzudecken.
»Danke«, wehrte
Lüder ab. »Das reicht mir.«
»Juristen«,
lästerte der Arzt.
»Seien Sie
vorsichtig mit Ihren Äußerungen.« Lüder spielte darauf an, dass der Leiter der
Rechtsmedizin sich nicht nur in Medizin habilitiert hatte, sondern auch in der
Jurisprudenz promoviert worden war.
»Es gibt aber noch
etwas, was Sie wissen sollten. Hier.« Der Rechtsmediziner zeigte auf
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