Schwere Wetter
erinnerte ihn Lüder.
»Ich werde ihn
gleich anrufen«, versprach Dolf Waldow beim Abschied.
Von Schilksee aus
fuhr Lüder in die Nettelbeckstraße. Er passierte den Kieler Flughafen, der auch
schon bessere Zeiten erlebt hatte und für den Linienverkehr keine Rolle mehr
spielte. Dafür war, wie fast immer, von der Hochbrücke über den Kanal zu
erkennen, wie wichtig diese Wasserstraße für den Seeverkehr war. Lüder
faszinierte immer wieder die Größe der Containerfrachter, die wie an einer Perlenkette
aufgereiht das Land durchquerten.
Gleich hinter der
Brücke verließ er die »Stadtautobahn«, die nur eine großzügig ausgebaute
mehrspurige Straße war, und nahm den Überwurf bis zum nördlichen Ende der
Holtenauer.
Er hatte Glück und
traf die Witwe Marc Wullenwebers an. Sie sah übernächtigt aus, hatte Ringe
unter den Augen, einen blassen Teint und begrüßte ihn mit matter Stimme.
»Gibt es Neues?«,
fragte Sylvana Wullenweber und nahm ihren Sohn in den Arm, der den Besucher
neugierig betrachtete und sich in die Nähe seiner Mutter geflüchtet hatte.
»Arnd kann noch nicht wieder in die Kita«, erklärte die Frau. »Myriam ist den
ersten Tag wieder in die Schule. Das wird sicher ein Spießrutenlaufen, weil die
Kinder natürlich vom Tod des Vaters wissen. Die sind in dem Alter unbarmherzig
und stellen ihre Fragen, bedrängen Myriam, obwohl sie mit ihren neun Jahren das
Ganze selbst noch nicht erfasst hat. Wie sollte sie auch? Mir ergeht es doch
nicht anders.« Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Ihr
Sohn sah sie dabei mit großen Augen an. Sanft streichelte sie seinen Kopf.
»Alles ist gut, mein Kleiner. Alles«, sagte sie und schluckte dabei. »Gehst du
nach nebenan? Spielst ein bisschen?«
»Darf ich Computer
machen?«, kürzte Arnd die Frage ab und verschwand ins Nebenzimmer, als seine
Mutter nickte.
»Die Kinder und
Computer«, erklärte Sylvana Wullenweber entschuldigend. »Die Begeisterung ihres
Vaters hat sie angesteckt. Und nun … dieser schreckliche Unfall.«
»Hat man Sie über
Einzelheiten des Geschehens informiert?«, fragte Lüder vorsichtig.
Sie nickte.
»Jemand ist ihm in die Seite gefahren und hat Fahrerflucht begangen.«
Lüder unterließ
es, seinen Verdacht, dass es sich um Mord handelte, zu erörtern.
»Wir sind in
solchen Fällen verpflichtet, auch ein wenig über den persönlichen Hintergrund
der Beteiligten zusammenzutragen«, sagte er. »Seit wann war Ihr Mann im
Landeszentrum für Datenschutz tätig?«
»Gleich nach dem
Studium.«
»Wo hat er
studiert?«
»Na – hier. In
Kiel. Bei Professor Eglschwiler. Der war damals gerade nach Kiel gekommen. Marc
war begeistert von ihm. ›Das ist ein Genie‹, hat er erklärt. ›Was der über die
Informationstechnologie weiß, das sprengt jede Vorstellungskraft. Davon möchte
ich nur einen Bruchteil können‹, hat er gesagt. Eglschwiler hat Marc auch
geholfen, den Job beim Landeszentrum zu bekommen. Irgendwie sind die alle
miteinander vernetzt. ›Das sind lauter Verrückte‹, hat Marc einmal gesagt. ›Die
leben und sterben für die neue Technologie.‹«
Sylvana
Wullenweber war nicht bewusst, welche Wahrheit hinter ihrer Floskel stand,
dachte Lüder.
»Ich kann mir
vorstellen, dass es in diesem Metier einen großen Konkurrenzkampf gibt«, sagte
Lüder. »Hat Ihr Mann davon gesprochen?«
Sie schüttelte den
Kopf. »Die haben doch alle das gleiche Ziel. Natürlich driftet die Entwicklung
irgendwann auseinander. Wer Glück hat in dieser Branche, kann schnell reich
werden. Marc hatte andere Vorstellungen. Im Mittelpunkt seines Interesses stand
seine Familie. Für ihn war das relativ sichere Stellenangebot im Landeszentrum
interessanter als große Versprechungen von Start-ups oder jungen
Hightech-Unternehmen.«
»Es gibt aber auch
Bedarf in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft. Banken, Versicherungen, die
Industrie. Gut ausgebildete Informatiker finden überall eine Anstellung.«
Sie sah Lüder
versonnen an. »Das mag alles stimmen. Natürlich stehen die Unternehmen am
Institut für Informatik Schlange, um die Uniabsolventen für sich zu gewinnen.
Marc hat lange mit sich gekämpft, ob er ein gut dotiertes Angebot aus Büdelsdorf
annehmen sollte.«
»Von der ›securus
consulting‹?«, unterbrach Lüder sie.
»Mag sein. Ich
glaube – ja, so hießen die. Als er nach reiflicher Überlegung ablehnte, hat man
noch versucht, ihn für ein befreundetes Unternehmen in Itzehoe zu gewinnen.«
»Können
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