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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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zum erstenmal gehört hab, wie Janey so abgefahren ist, dachte ich, wir würden angegriffen. Und dann dachte ich, Herrgott noch mal, das ist so eine perverse Statusscheiße, die will bloß, daß wir alle wissen, daß Jerry sie endlich vögelt. Aber nach ein paar Wochen kam ich allmählich dahinter, daß Janey halt nicht anders kann. Janey muß einfach schreien. Wenn sie nicht schreit, stimmt bei ihr was nicht.«
    Carol nahm einen großen Holzhammer mit Bleikopf und versetzte der Stoßstange ein paar wuchtige Schläge. »Aber das seltsamste daran ist, daß wir uns alle so daran gewöhnt haben. Monatelang fanden wir das megalustig, aber mittlerweile reißen wir nicht mal mehr Witze über Janeys Schreien. Und als sie dann für ein paar Wochen damit aufgehört hat, fingen wir echt an, uns Sorgen zu machen. Aber heute nacht, da war sie wieder echt gut drauf, weißte. Und heute hab ich ein richtig gutes Gefühl. Als ob wir die Sache am Ende doch noch hinkriegen würden.«
    »Man gewöhnt sich an alles«, sagte Alex.
    »Nein, tut man nicht, Mann«, erwiderte Carol scharf. »Das meinst du bloß, weil du jung bist.« Sie schüttelte den Kopf. »Für wie alt hältst du mich?«
    »Fünfunddreißig?« schlug Alex vor. Er wußte, daß sie zweiundvierzig war.
    »Falsch, ich bin fast vierzig. Ich hatte mal ein Kind, das mittlerweile etwa in deinem Alter sein müßte. Ist aber gestorben.«
    »Das tut mir leid.«
    Sie schwang den Hammer. Kloing. Boing. Ping-ping-ping. »Yeah, man sagt, ein Kind könnte eine Ehe retten, und da ist auch was Wahres dran, denn wenn ein Kind da ist, muß man sich drum kümmern, nicht nur umeinander. Aber daß der Verlust des Kindes eine Ehe ruinieren kann, hab ich nicht gewußt.« Zack. Wumm. »Damals war ich jung und ziemlich dumm, weißte, und ich hab mich viel gestritten mit dem Typ, aber verdammt noch mal, daß ich ihn geheiratet hab, war kein Zufall. Wir kamen einigermaßen miteinander aus. Und dann starb unser Kind. Und damit kamen wir nicht klar. Überhaupt nicht. Das hat uns einfach fertiggemacht. Hinterher konnten wir uns nicht mehr in die Augen sehen.«
    »Woran ist dein Kind gestorben?«
    »An Enzephalitis.«
    »Tatsächlich? Meine Mom ist auch an Enzephalitis gestorben.«
    »Das soll wohl 'n Witz sein. Welche Welle?«
    »Die Epidemie von '25 hat in Houston ziemlich schlimm gewütet.«
    »Oh, das war aber spät, mein kleiner Junge ist 2014 gestorben. Während des Ausnahmezustands.«
    Alex schwieg.
    »Kannst du mir mal die große Klammer reichen?«
    Alex nahm die smarte Seilrolle von der Schulter und legte seine behandschuhte Hand darauf. Das dünne, schwarze Seil kroch gehorsam über den Bubblepak-Boden, richtete sich auf wie eine Kobra, packte die Klammern mit der Metallschlinge und hob das Werkzeug hoch. Dann schlängelte es sich über den Boden und verharrte mit der Klammer mitten in der Luft, so daß Carol mühelos herankam.
    »Mann, du wirst ja allmählich richtig gut mit dem Ding.« Carol nahm die Klammer schwungvoll entgegen, worauf das Seil zurückschnellte und sich wieder um Alex' Schulter wickelte.
    »Ich muß dir was sagen«, meinte Alex.
    Sie setzte die Klammer auf die Stoßstange und zog sie mit aller Kraft an. »Ich weiß«, knurrte sie. »Und ich warte.«
    »Kennst du Leo Mulcahey?«
    Ihre Hände erstarrten, und als sie hochschaute, waren ihre Augen wie die eines von einem Scheinwerfer geblendeten Rehs. »Oh, verdammt.«
    »Also kennst du ihn.«
    »Yeah. Was ist mit Leo?«
    »Leo war gestern hier. Er kam mit einem Laster. Er hat gemeint, er wolle mit Jerry sprechen.«
    Carol starrte ihn an. »Und was war dann?«
    »Ich hab ihm heimgeleuchtet, ich wollte nicht, daß er einen Fuß ins Camp setzt. Ich hab gesagt, ich würde ihn niederschlagen, und im Zelt wäre ein Trouper, der ihn abknallen würde. Er hatte einen Ranger dabei, den Spürhund, der schon mal da war. Aber den wollte ich auch nicht ins Camp lassen.«
    »Verdammt! Und warum nicht?«
    »Weil Leo böse ist. Leo ist ein Gespenst, deshalb.«
    »Wie kommst du auf so einen Scheiß?«
    »Hör mal, ich weiß einfach, daß er ein Gespenst ist, okay?« Alex hustete, dann senkte er die Stimme. »Das Gespensterhandwerk hat seine eigene Atmosphäre, und die kann man riechen.« Es war ein schlimmer Fehler gewesen, sich aufzuregen. Er hatte das Gefühl, in seiner Brust hätte sich irgend etwas gelockert.
    »Wie sah er aus? Leo, meine ich?«
    »Sehr elegant. Sehr unheimlich.«
    »Dann war er's wirklich. Er ist sehr charmant.« Carol hob

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