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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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die Zeit schreitet fort, die Konsequenzen summieren sich.« Er hob den Arm und blickte auf seine Uhr. Sie sah aus wie jede andere Uhr. Leos Uhr hatte nichts Besonderes. Die gewöhnliche Uhr eines Geschäftsmannes mit Metallarmband. Abgesehen davon, daß die Haut unter der Uhr sehr weiß war.
    »Wir sind hierhergekommen, um aufzuhören, das zu sein, was wir waren«, sagte Leo. »Man kann sich dem Spiel und dem Code der Stille nicht entziehen. Daher haben wir jetzt eine Stille entdeckt, die gleichbedeutend ist mit einem elektronischen, virtuellen Tod. Wir sind dabei, unsere Fesseln abzustreifen. Wir werden in der Welt der Netzwerke sterben und werden andere Menschen werden. Wir werden uns ihnen ein für allemal entziehen und aus ihnen verschwinden.«
    »Wie die Evakuierungsfreaks?«
    Einer der Pokerspieler lachte schallend heraus. »He! Das war gut! Das ist Spitze. Evakuierungsfreaks. Meinst du etwa diese verrückten Poseure ohne ID, die sich in den Lagern rumtreiben? Das trifft haargenau ins Schwarze.«
    »Leo, was habt ihr Furchtbares getan? Warum müßt ihr etwas dermaßen Verrücktes und Abgehobenes tun?« Sie sah ihm in die Augen. Seine Augen waren nicht grausam. Sie waren wie Jerrys Augen. Sie blickten nur sehr gequält. »Leo, warum kommst du nicht zu uns ins Truppen-Camp? Wir haben unsere Leute, wir kennen Mittel und Wege, um jemanden aus Schwierigkeiten rauszuholen. Ich kann mit Jerry drüber reden, vielleicht kriegen wir das schon irgendwie hin.«
    »Das ist sehr lieb von dir, Jane. Das ist wirklich nett von dir. Ich bedaure, daß wir uns nicht näher kennengelernt haben.« Er wandte sich mit erhobener Stimme an die anderen. »Habt ihr das gehört? Was sie mir eben angeboten hat? Ich habe mich doch richtig verhalten.« Er blickte ihr ins Gesicht. »Aber was soll's. Nach dieser Begegnung wirst du mich sowieso nie wiedersehen.«
    »Wieso das?«
    Er deutete zur Decke - zum Unwetter hoch, das über dem Bunkergewölbe tobte. »Weil wir uns jetzt tief unterhalb der Katastrophe befinden. Wir sind bloß noch leere Namen in der langen Liste der vom F-6 Getöteten und Vermißten. Die du hier siehst - wir sind alle im F-6 umgekommen. Wir sind verschwunden, ausgelöscht. Du wirst mich nie wiedersehen; auch Jerry wird mich nie wiedersehen. Wir kappen alle Verbindungen, löschen unsere Identitäten aus, und Jane, damit kennen wir uns aus, darin sind wir gut. Und so muß es auch sein. Was ich geworden bin, läßt sich nicht mehr ungeschehen machen, es sei denn, ich würde aufhören zu sein, was ich bin. Für immer.«
    »Was in aller Welt hast du gemacht?«
    »Das läßt sich unmöglich sagen, wirklich«, bemerkte eine der Frauen. »Das macht ja gerade die Schönheit des Plans aus.«
    »Vielleicht verstehst du es so am besten«, sagte Leo. »Als deine Freundin und Kollegin April Logan die Trouper fragte, wann die Menschheit die Kontrolle über ihr Schicksal verloren habe…«
    »Leo, das weißt du? Du warst doch gar nicht da.«
    »Oh«, machte Leo überrascht. Er lächelte. »Ich bin in die Truppensysteme eingedrungen. Ich war von Anfang an drin. Niemand hat was gemerkt, aber - na ja, ich bin drin. Tut mir leid.«
    »Oh.«
    »Mein Bruder ist Akademiker, und Akademiker machen sich nicht viel aus Datenschutz.«
    »Das will ich meinen«, warf einer der Bunkerleute ein, der zum erstenmal das Wort ergriff. Er war groß und dunkel und trug einen pechschwarzen Maßanzug, und Jane fiel jetzt erst auf, wie jung er war. Noch keine zwanzig. Vielleicht gerade erst siebzehn. Wie kam dieser Junge…? Und dann sah sie ihn an. Er war sehr jung, aber seine Augen war völlig leblos. Er hatte den unheimlichen Blick eines professionellen Giftmörders.
    »Weißt du«, sagte Leo, »die Menschheit hat immer noch eine Menge Einfluß auf ihr Schicksal. Die Lage ist bei weitem nicht so hoffnungslos chaotisch, wie manche Leute meinen. Die Regierungen sind machtlos, und unser Leben verläuft sehr anarchisch, aber das bedeutet bloß, daß die Aufgaben auf Vigilanten abgewälzt werden. Es gibt gewisse Dinge, gewisse Aktivitäten, die offenbar getan werden müssen. Außerdem gibt es Leute, die die Notwendigkeit, sie zu tun, einsehen und die sogar bereit dazu sind. Die einzige Herausforderung besteht dabei darin, daß diese notwendigen Dinge unglaublich schrecklich und widerwärtig sind.«
    »Leo«, sagte der erste Schachspieler mit mühsam unterdrückter Wut, »warum, zum Teufel, läßt du vor dieser Frau die Hosen runter?«
    Eine der Frauen ergriff das

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