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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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und dumm und kurzsichtig, und wir haben sämtliche Chancen vertan. Nicht du persönlich, nicht ich persönlich, keiner von uns persönlich, unsere Vorfahren eben. Niemand, dem man so ohne weiteres die Schuld geben könnte. Aber du und ich und diese Leute hier, wir alle sind mit dem schweren Wetter großgeworden, und wir hatten unter den Konsequenzen zu leiden und mußten damit fertigwerden. Und die einzige echte Möglichkeit, damit fertigzuwerden, ist häßlich, einfach bloß unerträglich häßlich.«
    »Aber, Leo, warum?«
    »Weil wir Bescheid wissen! Weil wir die Möglichkeiten haben! Um der Überlebenden willen, nehme ich an.« Er zuckte die Achseln. »Es gibt keine globale Regierung. Es gibt keine formale, bewußte Kontrolle über den Lauf der Ereignisse, nirgendwo. Die Institutionen haben aufgegeben. Die Regierungen haben aufgegeben. Die Konzerne haben aufgegeben. Aber die Leute hier in diesem Raum und viele andere, die sind wie wir und die auf unserer Seite stehen, wir haben niemals aufgegeben. Wir kommen einer funktionierenden planetarischen Regierung am nächsten.«
    Jane blickte sich im Zimmer um. Die anderen waren seiner Meinung. Das war kein Scherz. Er hatte die Wahrheit ausgesprochen, die sie alle anerkannten.
    »Einige von uns, die meisten, sind sogar in der Regierung. Bloß gibt es keine Regierung auf der Welt, die sich kaltblütig hinstellen und öffentlich sagen könnte, daß von den acht Milliarden Menschen auf diesem kollabierenden Planeten mindestens vier Milliarden zuviel sind. Jane, jedes Jahr werden auf der Welt so viele Kinder geboren, wie ganz Mexiko Einwohner hat. Das ist Wahnsinn, und so geht es jetzt schon achtzig Jahre lang. Die Situation ist so katastrophal, daß der Versuch, etwas daran zu ändern, dem Beitritt zu einem Entschärfungskommando gleichkommt. Alljährlich geht eine Bombe hoch, und diese Bombe besteht aus menschlichem Fleisch, und jeder einzelne Bombensplitter bedeutet mehr ausgerottete Arten, mehr Kohlendioxid, mehr Toxine, Methan und Pestizide, mehr Abholzung, Müll und weiteren Niedergang. Früher mal gab es mehrere Auswege aus dem Dilemma, doch heute gibt es keine Alternativen mehr. Bloß noch Menschen, die wahrscheinlich überleben, und solche, die wahrscheinlich umkommen werden.«
    »Leo neigt ein bißchen zum Dramatisieren, aber das macht halt seinen Charme aus«, sagte Rosina und lächelte ihn zärtlich an. Rosina sah aus wie eine Lehrerin - wie eine Lehrerin mit einer Vorliebe für Platinschmuck und teure Gesichtschirurgie. »Das Große Spiel ist weniger romantisch, als man meinen möchte. Im Grunde handelt es sich dabei auch bloß wieder um eine Art amerikanische Geheimregierung, und die sind alle zwar nichts Besonderes, aber sie bestehen nicht lange. Wir ähneln stark dem Widerstand im Süden während der Rekonstruktion. Genau wie das Unsichtbare Imperium - der Ku-Klux-Klan. Etwa zehn Jahre lang war der Ku-Klux-Klan eine richtige Untergrundregierung! Wo alle abwechselnd für einen Moment das Seil in der Hand hielten. Damit niemand die Verantwortung dafür trug, daß der arme Schwarze gelyncht wurde. Den Neger hat's halt irgendwie erwischt.«
    Sie lächelte. Während Jane das Blut in den Adern gefror, lächelte sie, denn sie fand das lustig. »Und dann gingen die Beteiligten zurück an ihre Arbeit als County-Richter, Polizist, Anwalt und Ladenbesitzer. Und in der folgenden Woche ritten sie mit ihren Kapuzen und Masken wieder los und töteten jemand. Bei uns ist es genau das gleiche, Jane. Es ist wirklich möglich. Das hat es alles schon gegeben, hier in den Vereinigten Staaten. So was gab es hier schon, lange bevor es Netzwerke, Codierungsverfahren und all die anderen leicht zugänglichen, sicheren, bequemen Mittel gab, die große Verschwörungen so leicht machen. Es ist ganz einfach, wenn man ernsthaft daran arbeitet, und es ist sehr real, so real wie dieser Tisch.« Sie schlug mit der flachen Hand darauf.
    »Bloß weil wir uns aus dem Spiel zurückziehen, heißt das noch lange nicht, daß das Große Spiel aufhört«, meinte ein anderer Pokerspieler. Er hatte leicht asiatische Züge und einen Westküstenakzent. Unter den Anwesenden waren keine Schwarze. Auch keine Hispanics. Jane hatte den Eindruck, daß ethnische Ausgewogenheit bei ihrer Nachwuchsbeschaffung keinen hohen Stellenwert genoß, wie immer diese vonstatten gehen mochte. Vielleicht indem sie in irgendwelchen Winkeln der Netzwerke Intelligenztests in Umlauf brachten, mit denen sie Nietzsches

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