Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
zerstören - anstatt daß es peinliche Opfer auf dem Schlachtfeld gab, starb die feindliche Bevölkerung an scheinbar natürlichen Ursachen.« Diesmal hatte der Funker gesprochen, der so aufrecht vor dem Scanner saß, als hätte er einen Ladestock verschluckt. »Das war Luddismus in großem Maßstab - zum erstenmal wurde der Luddismus bewußt in nationale Politik umgemünzt. Daß die Praxis des Terrorismus rasch Eingang in die amerikanische Zivilbevölkerung fand, zeigt nur, auf welch breite Unterstützung diese Praxis stößt… Ganz ähnlich wie die Sache mit der CIA und dem LSD, wenn ich mal meine Lieblingsanalogie anbringen darf.«
    Leo nippte am Kaffee. »Ihr werdet mir alle fehlen«, gestand er.
    »Ich hab dir ja gesagt, er ist sentimental«, sagte Rosina. »Es ist wirklich eine furchtbare Schande, daß die Talente einer solchen Gruppe auf vollkommen geheime Unternehmungen verschwendet werden. Daß man die Verantwortung niemals euch zuschreiben wird. Ihr hättet es alle besser verdient.«
    »Ach, wir sind auch nicht schlechter dran als Alan Turing {i} «, wandte der zweite Schachspieler ein. »Wir sind bloß noch geheimere, dunkle, digitale Gespenster.«
    »Eines Tages wird irgend jemand alles aufdröseln«, meinte Rosina tröstend zu Leo. »Wir kennen das ganze Ausmaß der Spielaktivitäten ja selbst nicht einmal, aber es muß zahllose verborgene Spuren geben… Irgend jemand in der Zukunft, vielleicht im nächsten Jahrhundert, mit genügend Zeit und ausreichend Mitteln für eine umfangreiche Datenbankrecherche, könnte alles wieder ausgraben und die Einzelteile zusammenfügen.« Sie lächelte. »Und uns in Bausch und Bogen verdammen.«
    »Das ist ihr Privileg. Ein Privileg, das wir der Zukunft gewähren. Zwei große Privilegien - Überleben und Unschuld.«
    »Deshalb sind wir jetzt tote Leute«, erklärte Rosina. »Weißt du, was wir sind, Jane? Wir sind Rettungsbootkannibalen. Wir haben etwas Furchtbares getan, das getan werden mußte, und nun sitzen wir auf diesen Sofas vor dir und lecken uns die Lippen von den letzten Fleischfetzen am Schenkelknochen eines toten Babies. Wir sind gemeine, bleiche, gruselige Wesen, die tief unter der Erde hausen, und von Rechts wegen gehören wir zu den anonymen Toten.« Sie wandte sich an den Mann am Scanner. »Wie schaut's aus, Red?«
    »Sieht ziemlich gut aus«, antwortete Red. »Völlig ruhig.«
    »Dann bin ich die erste. Los, jemand muß mir das Scheißding abnehmen.« Sie hob den linken Arm. Niemand rührte sich.
    Rosina hob die Stimme. »Ich sagte, ich will die erste sein! Ich melde mich freiwillig! Also, wer schneidet mir das ab?«
    Der junge Mann im Anzug erhob sich. »Weißt du, was wirklich beschissen daran ist?« meinte er zu Jane, und seine dunklen Augen waren wie zwei Austern aus einer Konservendose. »Es ist beschissen, sich fünf Jahre lang den Arsch aufzureißen, nur um ein paar wirklich exzellente Netzwerktypen zu finden, und dann stellt sich heraus, daß es sich um einen Haufen alter Politiker und Rechtsanwälte handelt! Um Leute, die viel zuviel akademischen, politischen, philosophischen Scheiß posten, der nichts bedeutet, und wenn's dann endlich ernst wird, ist immer jemand anders schuld, dann heuern sie am Ende einen korrupten mexikanischen Cop an, der die Sache für sie erledigt. Allmächtiger!« Er seufzte. »Gib mir mal das Ding da, Mann.«
    Der zweite Schachspieler griff unter die Ledercouch und reichte dem jungen Mann einen pneumatischen Bolzenschneider mit Diamantschneide. »Willst du eine Schutzbrille?«
    »Seh ich etwa so aus, als ob ich 'ne Scheißschutzbrille wollte? Schwächling!« Er nahm den Bolzenschneider und wandte sich an Rosina. »Los, auf die Treppe.«
    Sie gingen hinaus.
    Dreißig Sekunden lang sagte niemand etwas. Sie spielten Karten, sie studierten das Schachbrett, Leo heuchelte Interesse am Breitbandscanner. Sie hatten Angst.
    Rosina kam ohne Armband zurück. Ein breites Lächeln im Gesicht. Wie eine Frau auf Kokain.
    »Es klappt!« keuchte der zweite Schachspieler. »Ich bin der nächste!«
    Der junge Mann mit dem Bolzenschneider kam zurück. Unter den Armen war sein Anzug völlig durchgeschwitzt.
    »Nimm mich als nächsten!« sagte der zweite Schachspieler.
    »Bist du verrückt?« meinte der junge Mann. »Ich kenne die Statistik. Diesmal soll's mal jemand anders probieren.«
    »Ich mach's«, sagte Leo zum Schachspieler. »Wenn du dir
    anschließend mich vornimmst.«
    »Abgemacht, Leo.« Der Schachspieler blinzelte dankbar. »Du

Weitere Kostenlose Bücher