Schwerelos
völlig ausschließen kann. Aber was bedeutet schon der Körper? Seelisch bin ich total treu.»
«Wem denn?»
«Ich bin seit sieben Jahren mit Karsten zusammen. Wir wohnen in einer schönen Jugendstilvilla mit großem Garten. Im Winter machen wir Feuer im Kamin, im Sommer grillen wir auf unserer Terrasse. Wir haben ein Kellergeschoss, das wir nur selten sehen, wir haben einen Garten, den wir nicht benutzen, wir haben ein Gästezimmer, zwei Ankleidezimmer und fünfmal mehr Waschbecken als Hausbewohner.»
«Darf ich fragen, wo dann euer Problem liegt?»
«Was wir nicht haben, ist Zukunft.» Ich schaute zu Erdal rüber. Seiner Stimme nach würde er gleich anfangen zu weinen.
«Und wieso habt ihr keine Zukunft?»
«Weil wir keine eigenen Kinder haben werden.»
«Erdal, jetzt bleib mal auf dem Teppich», sagte ich mit meiner Deeskalationsstimme, die ich immer benutze, wenn Michael Conradi mich anruft, um mir zu sagen, dass era) gerade seinen Vertrag für das nächste Buch zerrissen habe, b) seiner Frau nun endlich die Wahrheit sagen müsse, c) seine Geliebte niemals wiedersehen werde und d) nun endlich in geordneten Verhältnissen leben möchte.
Bei Punkt d) bin ich immer ganz besonders alarmiert. Ich kenne diese Aufräum-Attacken von ihm. Nachher steht er immer ratlos inmitten eines selbstgestalteten Schlachtfeldes, und ich muss entweder ein Beruhigungsmittel für ihn besorgen oder ein kreatives Geschenk, wahlweise für die Ehefrau oder die Geliebte.
Mit einigem Recht glaubte ich also, dass ich mich auskenne mit durchdrehenden Männern. Erdal schien mir allerdings ein fataler Fall von ausgeprägter Egozentrik, Hypochondrie und unbezwingbarer Drama-Lust zu sein.
«Man kann doch auch ohne Kinder ein zufriedenes und erfülltes Leben haben.»
Ich klang wie eine drittklassige Therapeutin.
«Wen willst du mit diesem Psycho-Gefasel überzeugen – mich oder dich?»
Immerhin hatte er seine Fassung wiedergefunden. Und so ganz unberechtigt war seine Frage ja leider nicht. Wenn ich doch bloß überzeugt wäre, dass man fröhlich kinderlos bleiben kann und nicht mit fünfzig – wenn definitiv die letzte Eizelle über die Wupper gegangen ist – bemerkt, dass man einen grauenvollen Fehler gemacht hat. Im Moment fehlt mir kein Kind. Aber wie wird es sein, wenn es demnächst zu spät für eins ist?
«In den ersten Jahren haben Karsten und ich uns gesagt, dass Kinderlosigkeit der Preis ist, den alle Schwulen zahlen müssen. Aber ich bezahle nun mal nicht gern für etwas, wofür ich nichts kann. Und ich hasse es, wenn ich was nichthaben kann. Nicht dass ich unbedingt schwanger werden möchte. Ich habe auch so schon genug Probleme mit meiner Figur. Leider wachse ich fast ausschließlich in die Breite. Bei der Geburt wog ich elf Pfund. Dick auf die Welt zu kommen ist bei uns eine Familieneigenschaft. Meine Mutter wusste nie, wo bei mir vorne und hinten ist. Ich war ein kugelrundes Buddha-Baby, das ständig lächelte und sich kaum bewegte. Du dagegen hast eine tolle Figur bekommen. Ein bisschen zu wenig Busen vielleicht, aber was soll’s, ich stehe eh nicht auf die Dinger. Trotzdem würde ich da an deiner Stelle ein bisschen was machen lassen. Zwei-, dreihundert Gramm auf jeder Seite würden schon genügen. Wie machst du das eigentlich, so schlank zu sein?»
«Wenig essen und viel Disziplin.»
«Disziplin – davon habe ich auch schon gehört. Ist leider bei mir nicht besonders ausgeprägt. Vielleicht würde es mit einem Kind besser werden, also ich meine mein Körpergewicht. Mit einem kleinen Kind im Haus soll man automatisch abnehmen, weil man ihm ständig hinterherrennen muss und kaum zum Essen kommt. Ein Traum, wenn du mich fragst.»
«Verstehe ich dich richtig: Du wünschst dir ein Kind, um endlich abzunehmen?»
«Wir haben Weltreisen gemacht, und jedes Mal, wenn wir wieder nach Hause kamen, war unser Haus zu groß und unser Leben zu leer. Außerdem meint Karsten, es täte mir gut, mal um etwas anderes zu kreisen als um mich. Und ich bin natürlich sehr interessiert an allem, was mir guttun könnte. Außerdem mögen mich Säuglinge, weil sie auf den ersten Blick glauben, ich könnte ihnen Milch geben. Und deswegen mag ich sie natürlich auch. Ich mag jeden, der mich mag.Marie, bitte, es ist unser sehnlichster Wunsch, könntest du nicht ein Kind für uns bekommen? Es ist doch eine Schande, dass du deine Gebärmutter so brachliegen lässt. Im Grunde sollte das verboten werden. Für jedes Ei, das eine Frau unbefruchtet
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