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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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eins zur Party komme?»
    Frank gelang es leider immer, mir mit wenigen gezielten Bemerkungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Frustrierend. Meine ganze schöne negative Energie verpuffte regelmäßig ungenutzt ins Nichts. Es machte einfach keine Freude, sich mit diesem Mann zu streiten, weil er sich weigerte, mitzumachen. Wir hatten auf diesem Gebiet gänzlich unterschiedliche Interessen.
    Nachdem Frank aufgebrochen war, beschloss ich, meinen nun ziellos herumstreunenden Ärger an dem Glätteisen auszulassen, und sperrte das biestige Gerät fluchend und mindestens für immer und ewig in den Badezimmerschrank.
    Ich wusch mir die Haare, hüllte mich in meinen Crystal-Carrington-Gedächtnis-Bademantel aus rosafarbener Seide, zog graue Wollsocken mit Noppensohle an, griff zu Süßwaren und Alkohol und beschloss, in mich zu gehen statt auf die Party.
     
    Hamburg, am 31.   Dezember, zehn Uhr abends
     
    Meine liebste Tante Rosemarie,
    warum, habe ich gerade gedacht, sollte ich nicht nochmal so mutig sein wie mit siebzehn? Weißt du noch? Ich verbrachte Silvester in selbstgewählter, erhabener Einsamkeit und schrieb törichte Liebeskummer-Gedichte in mein Tagebuch. Ich habe sie dir irgendwann beschämt vorgelesen, und du hast nicht gelacht – was ich dir hoch anrechne. Heute trinke ich keinen
süßen Sekt, schreibe keine Gedichte an Tom Mahlmann und habe statt Liebeskummer nur einen harmlosen Streit mit Frank. Mir fällt auf, dass ich schon lange keinen Liebeskummer mehr hatte und dass ich mich manchmal danach zurücksehne. Klingt das lächerlich? Selbst wenn, ich bin sicher, du wirst auch diesmal nicht über mich lachen. Erinnerst du dich an meine Marlene-Dietrich-Phase? Ich war ungefähr fünfzehn, hatte gerade angefangen zu rauchen, trug nur noch schwarze Klamotten, hielt mich für verrucht und wahnsinnig existenzialistisch. Die Erwachsenen waren alle Spießer, die einzige Ausnahme warst du. Es gab ein Lied, das ich damals ständig hörte:
    «Wenn ich mir was wünschen dürfte,
    möcht ich etwas glücklich sein,
    denn wenn ich gar zu glücklich wär,
    hätt ich Heimweh nach dem Traurigsein.»
     
    Damals machte ich mir keine Sorgen, dass ich jemals Heimweh nach dem Traurigsein bekommen würde. Glück war etwas für oberflächliche Idioten, fand ich. Mit meinen fünfzehn Jahren Lebenserfahrung konnte mir keiner mehr was vormachen. Ich war stolz darauf, ungeheuer unglücklich und damit auch ungeheuer tiefsinnig zu sein.
    Zum Glücklichsein gehört, finde ich, dass etwas passiert, etwas Neues, Unerwartetes, was die Gefühle verwirbelt. Glück ist ein Ausnahmezustand. Wie Erdal wiederfinden. Mit dir aus deiner Wohnung im zwölften Stock auf den Alexanderplatz runterschauen und sich aufs kommende Jahr freuen. Nach einer Magen-Darm-Grippe für zwei Tage endlich mal wieder unter fünfundsechzig Kilo wiegen. Oder Silvester allein im Bademantel feiern.
    Was wird mich wohl nächstes Jahr glücklich machen? Im Moment sieht es so aus, als würden allmählich all meine Klein-Mädchen-Wünsche in Erfüllung gehen. Weißt du noch, wie ich mir als pubertierendes Zahnspangen-Monster meine Zukunft ausgemalt habe? Ich sah mich als Ehefrau und Mutter in einem Häuschen mit Garten und programmierbarem Rasensprenger. «Und was noch?», hast du gefragt.
    «Wie was noch?», hab ich gefragt. «Dann bin ich glücklich.» «Na, mein Liebchen, wir werden sehen.» Du schienst nicht besonders überzeugt von meinem Lebensentwurf.
    Rasensprenger gehören immer noch zu meiner Vorstellung vom Glück. Dieses sanfte Prasseln und ein Kind, das dazu in seinem Bettchen einschläft. Ich nehme die Wäsche von der Leine, denn auch das gehört für mich zum Glück. Wäsche an der Leine. In Wirklichkeit hole ich meine Wäsche aus dem Trockner, und das Einzige, was ich in den Abendstunden begieße, ist das Töpfchen Basilikum auf dem Küchenfensterbrett. Trist, oder?
    Jetzt bin ich sechsunddreißig, und meine Wäscheleinen-Idylle ist zum Greifen nah. Ich habe den richtigen Mann dazu und bin sehr zufrieden. Wirklich verdammt zufrieden. Alles läuft gut. Aber Mist, warum bin ich nicht so glücklich, wie ich sein sollte? Muss ich mich einfach erst daran gewöhnen, dass endlich alles gut ist? Was will ich denn noch? Bitte sag es mir, Tante Rosemarie, was fehlt mir zu meinem Glück? Du musst es doch wissen. Du hast dich nie quälen lassen von deinen Sehnsüchten, du hast sie dir erfüllt. Du hast dich nie damit zufriedengegeben, zufrieden zu sein.
    Wo magst du

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