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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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sein. Während der Arzt mit dem Ultraschallgerät über ihren Bauch fährt, deutet sie auf das, was ein Embryo sein soll, und fragt:
    «Und das da, dieser seltsame Knubbel, ist das normal?»
    «Frau Goldhausen, Ihrem Kind geht es gut, und dieser seltsame Knubbel ist das Gehirn.»
    «Hauptsache, es hat keinen Penis!»
    Der Arzt dreht sich irritiert zu Erdal um. Karsten legt seinem Freund beruhigend die Hand auf die Schulter.
    «Und Sie wollen alle drei mit rein?», hatte die entsetzte Sprechstundenhilfe gefragt, und auch mein Arzt war nichtbegeistert gewesen von dem Menschenauflauf in seinem Behandlungszimmer: «Das ist eine Vorsorgeuntersuchung und kein öffentlicher Besichtigungstermin!»
    Erdal löchert den Arzt mit medizinischen Detailfragen zu Toxoplasmose, Eisenmangel und frühkindlicher Förderung im Mutterleib bis hin zu möglichen Komplikationen bei Geburt und Einschulung. Er hatte die vergangenen Tage fast ausschließlich vor dem Computer verbracht und in Schwangerschaftsforen mit anderen werdenden Müttern gechattet, um sich ein umfassendes Bild über seine Schwangerschaft und die darauffolgenden zwanzig Jahre zu machen.
    «Nun machen Sie sich mal nicht verrückt.» Der Arzt klappt ungeduldig den Mutterpass zu, steht auf und schüttelt Erdal ungefragt die Hand zum überfälligen Abschied.
    «Dieser Rat kommt leider fast vierzig Jahre zu spät», sagt Karsten leise, was ihm vernichtende Blicke von Erdal und verständnisvolle Blicke von mir und Dr.   Thor einbringt.
    Wenige Minuten später verlassen wir die Praxis. Leonie hat sich bei Karsten untergehakt, mir bleibt die undankbare Aufgabe, Küppi zu beruhigen. Der fand den Arzt ungewöhnlich kurz angebunden und vermutet nun, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung sei, was uns Dr.   Thor bloß noch nicht sagen wollte und stattdessen seine Besorgnis hinter einer schroffen Fassade verborgen hatte.
    «Ich finde, er hat dir mit Engelsgeduld erklärt, dass es keine medizinischen Studien gibt, die beweisen, dass man einem Embryo bereits eine Fremdsprache beibringen kann, und dass du deswegen nicht in Anwesenheit der Mutter ausschließlich überlautes Türkisch gegen die Bauchdecke sprechen musst.»
    «Das habe ich aber gelesen.»
    «Ja, du hast vor allem zu viel gelesen.»
    «Ich nehme meine Aufgabe eben ernst.»
    «Das kann man wohl sagen. Ich glaube, du hast sogar schon etwas zugenommen.»

    Statt zum Leichenschmaus zu gehen, waren Leonie und ich nach Hamburg gefahren.
    Zu dem Schmerz über den Tod von Tante Rosemarie war nun die Aufregung über Leonies Schwangerschaft gekommen und die Aussicht, einem Kind zu Vätern zu verhelfen. Ich hatte Erdal angerufen.
    «Bitte, Küppi, du musst jetzt ganz ruhig bleiben. Neben mir im Auto sitzt meine Cousine Leonie. Sie hat keinen Job, kein Geld und keinen Mann. Aber dafür ist sie schwanger. Ich bringe sie in zwei Stunden bei euch vorbei, und wenn ihr euch versteht, dann   … Erdal?»
    Ich hörte lautes Keuchen.
    «Ich geb dir Karsten. Ich muss erst mal in eine Plastiktüte atmen.»
    Karsten leitet ein Einsatzkommando der Hamburger Polizei und ist so ausgeglichen und auf freundliche Weise ernst, dass ich ihn immer am liebsten fragen möchte, ob er nicht bitte mit sofortiger Wirkung die Verantwortung für mich und mein Leben übernehmen könne. Absolut der Typ Mann, mit dem einem nichts passieren kann. Groß, breite Schultern, muskulös und mit einer beruhigenden, deeskalierenden Ausstrahlung. Neben so einem willst du sitzen, wenn der Pilot durchsagt, man habe einen sehr unruhigen Flug vor sich und die Passagiere sollten bitte während der nächstensechs Stunden angeschnallt bleiben. So einen willst du bei dir haben, wenn du in einer Bank bist, die gerade überfallen wird, wenn du dich in einem Aufzug befindest, der gerade stecken bleibt, oder wenn du in der Bar von einem Typen angemacht wirst, der garantiert irgendwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun hat.
    Ich gebe es nur ungern zu, dass Männer, die mit Schusswaffen umgehen können und wissen, wie man jemandem das Genick bricht, einen archaischen Reiz auf mich ausüben. Leider hat man heutzutage ja kaum noch Gelegenheit, Männer bei solcherlei Tätigkeiten zu beobachten. Wann kann ein Mann denn noch männlich sein? Mir ist ja schon immer ganz biologisch und geradezu wildnishaft zumute, wenn Frank auf den Balkon rausgeht, um dort Salbei zu ernten. Jammerschade, dass die Sehnsucht nach einem Cowboy, der dich ungefragt zu sich in den Sattel hebt und mit dir in die

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