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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Abwechslung mal für beneidenswert hielt. Ich beschloss, ab sofort dankbar und glücklich zu sein. Vielleicht sollte ich schon mal langsam die Pille absetzen? Und wenn ich doch bei Kellermann & Stegele bleiben würde?
    Schlecht ging es mir da ja wirklich nicht, und sich selbständig zu machen ist ja ein Risiko, zu dem einen keiner zwingen kann.
    Was ist denn auch eigentlich so verkehrt daran, nur einen Mann zu lieben, sich zu zweit selbst zu verwirklichen und sich über Weihnachts- und Urlaubsgeld zu freuen? Heutzutage kommst du dir ja schon spießig vor, wenn du weißt, von wem du schwanger bist. Nur weil endlich alles gut ist, ist das kein Grund, mit einem Abenteuer alles aufs Spiel zu setzen.
    Und schon gar nicht mit fast siebenunddreißig.
    Eine Frau, die rasant auf die vierzig zugeht, sollte lebenswichtige Entscheidungen nur nach reiflicher Überlegung, mindestens zehn Therapiestunden – und am besten erst etliche Jahre nach ihrem vierzigsten Geburtstag treffen.
    Denn es ist schwer, zu unterscheiden: Bist du wirklich unglücklich? Oder wirst du einfach nur alt?
    Ich kenne nicht wenige Frauen, die aus Torschlusspanik bereits mit Anfang dreißig kuriose Entscheidungen treffen. Eine Kollegin, vierunddreißig, hat sich gerade im Ausland ein paar ihrer Eizellen einfrieren lassen. «Irgendwann kann ich die Dinger ja mal befruchten lassen. Das nimmt mir den Zeitdruck.»
    Irgendwann ist das keine biologische Uhr mehr, die da sanft in dir tickt, sondern ein ausgewachsenes Sprengstoffpaketmit Zeitzünder, eingestellt auf deinen vierzigsten Geburtstag.

    Als Frau hast du komischerweise Zweifel, ob das Leben nach diesem magischen Datum überhaupt weitergeht. Als würden, bedingt durch eine tschernobylhafte Reaktorkatastrophe im Inneren deines Körpers, aus deiner Gebärmutter ein verstrahlter Champignon werden, dein Bindegewebe tot umfallen und deine sexuelle Attraktivität in ihre Elementarteilchen zerfallen und in die Weite des Weltalls geblasen.
    Ich übertreibe? Nein. Das ist der Grund, warum nicht selten Frauen in dieser prekären Lebenszeit Männer heiraten, mit denen sie vorher nicht mal Mittag essen gegangen wären. Oder, ups, aus Versehen schwanger werden, obschon die Verhütung in den letzten zwanzig Jahren doch immer astrein geklappt hat. Auf einmal muss alles ganz schnell gehen, und ein Erzeuger muss her. Das kann der Tankwart sein, der Kellner des Lieblingsrestaurants oder sonst jemand, von dem man nicht mal den Nachnamen kennt.
    Die vierzigjährige Frau neigt zu panischen Rundumschlägen. Sie kündigt ihren Job, verlässt ihren Mann, sogar ihr Haustier – alles aus dem panischen Gefühl, jetzt sei der letzte Zeitpunkt für Selbstverwirklichung und Neuanfang. Nur vergisst sie darüber, sich zu fragen, ob sie überhaupt neu anfangen will.
    Da werden arglose Männer verlassen, die sich nach einem Jahr Selbstverwirklichung dann doch als die bestmöglichen rausstellen. Bloß dass dieser Bestmögliche seinen Liebeskummer zwischenzeitlich mit Hilfe seiner noch nicht lange volljährigen Assistentin überwunden hat, die zum zweiten Mal schwanger von ihm ist.
    Nein, ich möchte wirklich nicht irgendwann feststellen,dass ich meinen Zug verpasst habe und frei und einsam auf einem zugigen Bahnsteig stehe, auf dem der Verkehr eingestellt worden ist. Und wenn ich dann alt und unbeweglich geworden bin, muss ich eine meiner verheirateten Freundinnen anrufen, damit sie vorbeikommt und mir den Reißverschluss am Rücken meines Kleides zumacht. Aber meine Freundinnen haben dann bestimmt keine Zeit, weil sie rund um die Uhr damit beschäftigt sind, Enkelkinder zu hüten, Marmelade einzukochen und mit ihren Männern das Regionalprogramm zu gucken, falls die dann noch leben. Ansonsten müssen die Gräber ja auch in Schuss gehalten werden.
    «Dann bleibt der Reißverschluss eben ein Stückchen offen», hatte Tante Rosemarie gesagt, als wir uns unlängst mal wieder über meine Lebensmitte-Krise unterhalten hatten. «Es mag wohl sein, Marie, dass ich später für meine Freiheit zahlen muss. Dass ich einsam sein werde und keinen habe, der mich ins Krankenhaus fährt, falls ich mir den Oberschenkelhalsknochen breche. Und dann stell dir mal vor, Marie: Vielleicht breche ich mir niemals meinen Oberschenkelhalsknochen! Was mache ich dann? Ich bin immerhin schon über siebzig, und meine Knochen sind bisher heil geblieben!»
    «Ich fahr dich ins Krankenhaus, egal was du dir brichst», hatte ich ihr versichert. Aber wie so oft hatte mich

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