Schwerelos
Raummaße sichtlich eingeschüchtert.
«Wir haben hier unten fast alle Wände rausnehmen lassen, um einen Raum zu schaffen, in dem Erdal seinen drei Grundbedürfnissen nachgehen kann: essen, fernsehen, feiern», erklärte ihr Karsten.
«Habt ihr euch wie alle Paare bei der Einrichtung gestritten?»
«Wir haben eine klare Regelung: Ich bin für die Hardware zuständig, Erdal für die Software. Das heißt, ich habe den Tisch ausgesucht, er die Schwäne aus Murano-Glas darauf. Die Sofas sind von mir, die herzförmigen Kissen von ihm.»
«Dass du dich auch immer gleich von mir distanzieren musst, Karsten. Ohne mich wäre es hier so steril wie in einem Operationssaal. Wir ergänzen uns eben perfekt, Häschen.»
«Ist ja gut. Ich wollte nur nicht, dass Leonie denkt, ich sei für den Kunstrasen auf dem Kaminsims verantwortlich.»
Ich starrte Karstens Hüften und Oberschenkel mindestens genauso fasziniert an wie Erdal den winzigen Babybauch von Leonie. Herrgott, was war nur los mit mir? Hatte ich zu wenig Sex?
Nun ja, nach Jahren mit demselben Mann ist es wohl normal, dass auch der Sex alltäglicher geworden ist. Was keineswegs heißen soll, dass er täglich stattfindet oder ich seinetwegen auf die ersten Minuten vom großen Sat- 1-Film verzichten würde.
Sex ist eingebettet in profane Tätigkeiten. Vorher hast du noch eine Maschine vierzig Grad Buntes eingeräumt, und nachher müssen unbedingt noch die gurgelnden Heizkörper entlüftet werden.
Und auch die Gesprächsthemen, die vor, während und nach dem Akt aufkommen, sind längst nicht mehr so erotisch aufgeladen wie in den ersten Monaten. Ich finde, wenn man sich schon etwas länger kennt, kann man im Bett nicht auf einmal so tun, als hätte man sich erst eine Stunde zuvor an einem Tresen kennengelernt und sei lüstern ins nächste Hotelzimmer gerannt. Nein, ich kann das Genital meines Freundes nicht jedes Mal so begeistert begrüßen, als begegnete ich ihm zum ersten Mal.
Immerhin hatten wir uns irgendwann mal versprochen, im Bett nicht zu telefonieren, keine Fachlektüre zu lesen und nicht über Beziehungsprobleme zu reden. Daran halten wir uns redlich, und ich bemühe mich auch, nach dem Sex eine angemessene Frist von etwa drei bis fünf Minuten vergehen zu lassen, ehe ich nachschaue, ob die Wäsche schon durchgelaufen ist.
Was ich nicht so gut unter Kontrolle habe, sind meine Gedanken während des Geschlechtsaktes. Manchmal frageich mich währenddessen einfach nur, woran andere Frauen wohl dabei denken und ob es normal und erlaubt ist, wenn diese Gedanken nicht immer direkt mit dem Mann zu tun haben, mit dem man es gerade zu tun hat.
«Ich denke an Wladimir Putin oder Nicolas Sarkozy», hat Regina mir mal gestanden, die einen ausgeprägten Hang zu mächtigen Männern hat. «Und wenn gar nichts mehr geht, stelle ich mir vor, wie viel Fett ich gerade verbrenne und dass die Angelegenheit insofern wenigstens nicht ganz umsonst ist.»
Ich war natürlich schockiert über Regina. In erster Linie allerdings deshalb, weil ich selbst überhaupt keine glamourösen Sexualphantasien zu bieten habe. Es gelingt mir einfach nicht, mir beim Sex einen Mann vorzustellen, der sowieso nie mit mir schlafen würde, oder mir beim Sex eine Art von Sex vorzustellen, die ich mit dem Mann, der gerade mit mir schläft, sowieso nie haben würde. Dazu bin ich zu pragmatisch. Ich nutze die Zeit während des Beischlafes lieber sinnvoll.
Als ich das letzte Mal mit Frank geschlafen habe, auch schon wieder ein paar Wochen her, habe ich mich zum Beispiel gefragt, warum Barbapapas keine Beine haben und wie sie sich eigentlich fortbewegen. Eine interessante Fragestellung, die meines Wissens noch nirgends hinreichend beantwortet wurde. Immerhin war ich so taktvoll, dieses Problem mit mir selbst auszumachen und mich ein wenig über mich selbst zu wundern – allerdings nur so lange, bis mich Frank kurz nach Abschluss des Aktes als solchem unvermittelt fragte: «Sag mal, lebt Inge Meysel eigentlich noch?»
Ich war kurzzeitig verblüfft über so viel Nüchternheit beziehungsweise über die Rücksichtslosigkeit, mit der michFrank seiner Nüchternheit selbst in so einem Moment aussetzte. Aber statt Frank mit einem gutgezielten Tritt aus dem Bett und eventuell auch aus meinem Leben zu befördern, überlegte ich eine Weile und sagte dann, dass ich mir nicht ganz sicher sei, aber ich würde das gleich im Internet nachschauen, da es mich jetzt auch interessieren würde. Zuvor müsse ich aber schnell
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