Schwerelos
auch dieses Gespräch mit ihr verunsichert und beunruhigt.
Tante Rosemaries verdammter Hang zu Freiheit und Selbstverwirklichung hatte mich schon immer irgendwie nervös gemacht. Wie ein Zwiebackkrümel in meinem Bett. Immer wenn ich gerade eine kuschelige Stellung gefunden hatte, in der ich es mir bis an mein Lebensende hätte einigermaßen gemütlich machen können, pikste mich etwas leichtin den Hintern. Das war dann Tante Rosemarie, die sich wegen Spiegeleiern scheiden ließ, Pilates lernte und aus ihrer Wohnung in Berlin die Kochnische rausreißen ließ, weil sie nie wieder kochen wollte.
Zu meinem letzten Geburtstag und zu meinem Leidwesen hatte sie mir eine CD mit ihrem neuen Lieblingslied geschickt. Auch noch selbst gebrannt! Das Lied höre ich bis heute nur ungern, weil ich mich immer auf der Stelle faul und feige fühle.
Die große Freiheit ruft wieder an,
Du musst entscheiden: Gehst du dran?
Die große Freiheit funktioniert nur allein,
Du musst entscheiden:
Wie frei willst du sein?
Lass alles fallen, stehen und liegen,
Lass sie sich weiter selbst betrügen.
Raus aus der Reihe, Schluss mit dem Warten,
Wer nur ansteht, kann nicht starten.
Goodbye, goodbye, goodbye,
Ab heut bist du frei!
Verdammt, warum konnte ich nicht so wie andere Menschen auch eine Tante haben, die sich mit betreutem Wohnen und Pflegestufe eins zufriedengab? Nein, meine Tante musste ja ständig in Bewegung bleiben, und dabei machte ich mir mehr Sorgen um ihren Oberschenkelhalsknochen als sie.
Was war ich noch? Ach ja, dankbar und glücklich. Eine erwachsene Frau in einer langsam gereiften Beziehung. Ich mache mich eben nicht gleich vom Acker, sobald das Glückerste Gebrauchsspuren zeigt. Oder suche mir einen Geliebten, der mir ein paar Luxusbedürfnisse erfüllt. Ich will eine gemeinsame Vergangenheit haben. Nicht nur den eigenen Haaren beim Grauwerden zuschauen.
Irgendwie hat Conradi ja leider recht: Je pragmatischer man an eine Ehe herangeht, desto besser sind die Chancen, auch eine geraume Zeit verheiratet zu bleiben. Und so gesehen, kann ich getrost damit rechnen, vom Tod geschieden zu werden.
Ich weiß bei Frank genau, worauf ich mich einlasse. Bei ihm bin ich vor unliebsamen Überraschungen sicher. Ich kann mich nicht erinnern, dass Frank jemals etwas getan hat, womit ich nicht gerechnet hätte. Wir haben noch nie in der Öffentlichkeit rumgeknutscht, er hat mich noch nie angeschrien, er ist noch nie vor mir auf die Knie gefallen, er hat mich noch nie warten lassen.
Frank hat meine Erwartungen niemals enttäuscht. Er hat sie allerdings auch niemals übertroffen.
«Ich nutze die Zeit während des Beischlafes lieber sinnvoll»
Um kurz nach sechs hielten Leonie und ich vor Erdals Villa, die er sich mit seiner florierenden Catering-Firma verdient hatte. «Er liebt Weihnachten über alles», sagte ich entschuldigend.
«Ach was.»
Leonie betrachtete die Villa mit einer Mischung aus Verzückung und Entsetzen. Fenster und Balkone waren mit Tannengirlanden und Lichterketten geschmückt. Im Garten weideten blinkende Rehe, und auf der Freitreppe vor der Eingangstür stand ein zwei Meter hoher Plastikelch mit roter Mütze, der seinen Kopf hin- und herbewegte.
«Erdal findet es eine Schande, dass die Adventszeit auf vier Wochen begrenzt ist, und möchte sich diese gesellschaftliche Bevormundung nicht länger gefallen lassen. Bei ihm ist vom zwanzigsten November bis zum zwanzigsten Januar Weihnachtszeit. Wir kommen also gerade noch rechtzeitig. Morgen wird alles abgebaut.»
Ich klingelte. Eine Sekunde später riss Erdal die Tür auf. Er trug einen schwarzen, mit Strasssteinen besetzten Nicki-Hausanzug, seine Füße steckten in rosa Plüschpantoffeln.
«Kommt rein, ihr lieben Täubchen! Leonie, du musst doch furchtbar erschöpft sein von der Fahrt. Möchtest du die Füßehochlegen, und ich mache dir eine Wärmflasche? Entschuldige, aber ich bin irgendwie so, so …»
«Beschwipst, wolltest du sagen. Ihr müsst entschuldigen, er hat vor Nervosität ein wenig zu viel Sekt getrunken. Hallo, ich bin Karsten.»
Leonie schmolz dahin.
«Karsten, du weißt genau, dass kohlensäurehaltiger Alkohol die Kapillargefäße weitet und so gegen stressbedingte Atembeschwerden schützt. Für mich ist Sekt Medizin, kein Laster. Sonst noch jemand ein Schlückchen? Goldi? Karstibärchen? Leonie, Schatz, du darfst ja leider nicht mehr, aber ich habe dir Schwangerschaftstee besorgt. Tässchen?»
Leonie war durch die
Weitere Kostenlose Bücher