Schwerelos
betrat und einen wahnwitzigen Schmollmund machte, von dem niemand annahm, dass er auch noch anfangen würde zu sprechen.
«Guten Abend», piepste sie, «ich bin Sylvie van der Vaartund möchte mich erst mal entschuldigen, dass mein Mann nicht da ist, aber Rafael spielt heute Abend gegen Hertha.»
Dann sprach sie noch ein bisschen übers Muttersein («Gaaanz, gaaanz toll!!!») und beschloss den Vortrag mit den weisen Worten: «Ich glaube, man muss auch ein bisschen spannend bleiben für den Partner. Das ist sehr wichtig. Man muss knackig bleiben füreinander.»
Dann schwenkte sie ihren zugegebenermaßen unheimlich knackigen Size-Zero-Hintern und machte Platz für das neue Traumpaar: Theo und Anuschka Bertram.
Während Anuschka – äußerlich eine gelungene Kreuzung aus Carla Bruni und Königin Rania von Jordanien – ihre Dankesworte sprach, fragte ich mich, wie spannend und knackig mein Partner und ich eigentlich noch füreinander waren.
Ich stellte mir mich selbst in meiner Lieblingsjogginghose vor, ein hellgraues Ungetüm, in dem selbst Sylvie van der Vaart aussehen würde wie ein überbelegtes Zweimannzelt. Diese Hose trage ich zu Hause gerne in Kombination mit einem farblich nur bedingt passenden wiesengrünen Kapuzensweatshirt.
Wenn ich weiß, dass mich niemand außer Frank zu sehen bekommt, bin ich ungeschminkt. Damit die Haut besser atmen kann. Das bekommt meiner Haut auch sehr gut. Meinem Aussehen nicht.
Auch die Brille, die ich dann statt der Kontaktlinsen trage, steht mir gar nicht so besonders gut. Aber ich sitze im Verlag oft stundenlang vor dem Computer, und da brauchen meine Augen eben ab und zu etwas Entspannung.
Dunkel erinnere ich mich an die Zeiten, als ich mich vor jeder Begegnung mit Frank einer Rundumerneuerung unterzog. Das reichte von den frisch gepeelten Füßen über dieim Push-up-BH ungemütlich hoch gequetschten Brüste bis zu gefärbten Kontaktlinsen und dem Lidstrich, der gemäß dem «Brigitte»-Sonderheft «Die große Schminkschule» «hauchfein über den Wimpern aufgetragen und dann zum Augenwinkel hin rauchartig verwischt wird».
Damals trug ich noch hohe Schuhe und Kleid, wenn Frank und ich kochten. Heute lugen unter der fast bodenlangen Schürze meine Birkenstocks hervor. Und «rauchartig verwischen» tue ich meinen Lidstrich nur noch an hohen Feiertagen und runden Geburtstagen.
Aber wäre es nicht auch allzu albern, wenn ich nach neun Jahren Beziehung immer noch versuchen würde, meinen Partner mit «fühlechten Gel-Einlagen» im BH zu beeindrucken, obschon er doch längst um die mickrige Wahrheit darunter weiß? Warum soll ich mir den Holzboden und die Fußsohlen mit Pfennigabsätzen ruinieren, nur um Beine optisch zu verlängern, die mein Partner sich sowieso nicht mehr anschaut?
Das ist Alltag. Na und, Frau van der Vaart, Miss Superknackig, Romantik und Alltag verstehen sich eben nicht besonders gut. Und ich frage mich, ob das bei den «Couples of the year» wirklich so anders ist.
Wollen Sie mir wirklich weismachen, verehrte Sylvie, dass Sie in Hotpants und Stilettos am Herd stehen, sich einen Hauch Parfüm hinter die Öhrchen tropfen, bevor sie abends geschminkt ins Bett gehen? Und tagsüber das Feuilleton der «FAZ» studieren, damit Sie beim Abendbrot dem Herrn Gemahl was Spannendes zum Ausgleich für seinen Fußballeralltag zu erzählen haben? Lassen Sie sich nie gehen, Frau van der Vaart?
Und überhaupt, was ist eigentlich so schlimm, wenn mansich gehenlässt? Ich will Entspannung statt Spannung. Ich will mich in meiner Beziehung nicht so fühlen wie in einer knapp sitzenden Jeans ohne Stretchanteil.
Was sollte ich denn tun, um spannend zu bleiben? Neun Jahre lang den Bauch einziehen? Mit verstopften Poren ins Bett gehen und mich erst heimlich abschminken, wenn der Typ neben mir sicher eingeschlafen ist? Mir ständig neueHobbys, Eigenschaften, Eigenarten, Interessen, Verehrer oder gar Liebhaber zulegen?
Muss man wirklich unaufhörlich «an seiner Beziehung arbeiten»? Auch als voll berufstätige Frau? Also ehrlich, das ist mir zu anstrengend.
In ihrer Dankesrede sprach Anuschka Bertram von Vertrauen, Loyalität, Liebe und Verantwortungsbewusstsein als den Grundpfeilern einer guten Ehe.
Jawoll, da hatte sie recht, die gute Frau. Knackig kann man auf Dauer ja sowieso nicht bleiben. Ich nickte befriedigt in mich hinein. Regina gähnte. Ich antwortete mit einer sträflich hochgezogenen Augenbraue, eine Mimik, die ich vor vielen Jahren in stundenlanger
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